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die wahrheitEin Gran Granitkompetenz

An grauen, ja grauenhaften Wintertagen flüchtet man bisweilen zu einem dieser Spleens, die Halt gewähren …

… - Rückhalt, genauer gesagt -, nicht etwa mit Kommandostimme brüllen: "Halt! Stop! Stehenbleiben!" Ein Spleen, der die Zeit vertreibt statt sie totzuschlagen.

Jüngst wählte Weckerling, ein Kollege seit Ewigkeiten, aus seinem Fundus an Spleens das vermeintlich ziellose Schmökern in Nachschlagewerken. Der Leitgedanke ist vielleicht mit dem der Tarot-Kartenleger zu vergleichen. Ein Umherschweifen, das Weckerlings Ansicht nach unbedingt mit dem buchstäblichen Blättern von Echtpapier verknüpft ist. Willkür und Müßiggang, unterschwellig gesteuert von irgendwelchen banalen spirituellen Kräften, wenns passt - sie werden es schon richten.

Diesmal stromerte Weckerling durchs "Lexikon der Maß- und Gewichtseinheiten", bis er beim Schlagwort "Gran" innehielt. Und zwar deshalb, so kobolzte es in ihm, weil er erfahren mochte, wie viel die vage Hoffnung wog, die er hegte, seine Liebste zurückzugewinnen.

Ein Gran, war dem Buch zu entnehmen, ist ein Apothekergewicht, das der Schwere eines trockenen Pfefferkorns entspricht, null Komma null sechs Gramm. So gut wie nichts an und für sich und erst recht im Vergleich zu den Monstrositäten, die diesen Planeten erschüttern, ganz abgesehen von Katastrophen wie die so called biblische Tragödie in Haiti.

Das Gewicht eines trockenen Pfefferkorns! Wie ihn dies Sinnbild geradewegs in die Ahnung einer Imagination versetzte, kaum zu glauben. Pfeffer, da schwinge Würzen mit, das Hinpfeffern, Schmettern und Schmeißen, ein Schleudern, Knallen und Schärfen, dass es eine Art hat.

Zwanzig Gran, so hieß es dann, ergeben einen Skrupel. Ha! Ein weiterer Treffer. Hatte er, Weckerling, sich nicht skrupulös bemüht? Ängstlich also und peinlich genau, um Julias Herz abermals zu erobern? Jegliche Skrupel würden nun verscheucht, aber hallo.

Ich bekenne, Weckerlings Gedankengeflecht nicht recht durchschaut zu haben, empfand es als verworren. Was bald danach geschah, leuchtete mir dagegen prompt ein. Julia und er begaben sich an einem Samstagvormittag gegen elf in ein Möbelcenter, das auf Kücheneinrichtungen spezialisiert ist. Erregt, jawohl: erregt hatte Weckerlings Aufmerksamkeit eine Werbebeilage in der Zeitung, dessen Slogan versprach: "Granitkompetenz neu definiert!" Wer Sehnsucht nach Gewissheit, nach eherner Sicherheit verspürt, der geht dorthin, bekuckt Granit und … hebt es an? Hebt ab? Triumphiert?

Diese Schlussbemerkung dürfte allerhöchstens 21 Gramm wiegen. "21 Gramm", so heißt jedenfalls ein Spielfilm mit Sean Penn, dessen Titel Bezug nimmt auf das "Gewicht der Seele", das ein Arzt 1907 errechnet haben wollte; das Gewicht, das wir mit dem letzten Atemzug verlieren. Weniger schwerwiegend, weniger schwermütig soll aber unser Ausflug enden. Denn die Differenz zwischen wichtig und Wicht beträgt nicht mehr als zwei Buchstaben. Ein Gran.

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