die wahrheit: Der homosexuelle Mann
… wartet in dieser Woche gespannt auf Donnerstagnacht. Um zwei Uhr MEZ gehen in Vancouver die Weltbesten der Sportart an den Start, die ihm am besten gefällt, im Eiskunstlauf der Herren …
Die größten Hoffnungen aus schwuler Sicht richten sich auf Johnny Weir. Deutlicher als je einer zuvor repräsentiert der 25-jährige US-Amerikaner das schwule Element auf dem Eis. Weir setzt ganz auf Tanz, künstlerischen Ausdruck und extravagante Kostüme. Ihn interessiert weniger das atemlose Jagen von einem Sprung zum nächsten, vielmehr sind es diese Übergänge, die er mit Anmut und Eleganz gestalten will.
Dass er eine Diva sei, Weir hat keine Hemmungen, offen darüber zu reden. "Als Erstes", verkündete er bei seiner Ankunft vergangene Woche in Vancouver, "werde ich mir eine rosa Badematte für das Zimmer im olympischen Dorf kaufen. Dann brauche ich Kerzenlicht überall, und gut riechen muss es auch."
Weir hofft auf einen Medaillenrang und braucht deshalb Ruhe und Konzentration. So verzichtet er bei der kommenden Kür auch darauf, im Pelz aufzutreten. Noch bei den nationalen Meisterschaften im Januar startete er in schickem Fuchspelz, der Protest der Peta-Aktivisten folgte umgehend.
Noch etwas muss Weir gleich nach seiner Ankunft richtigstellen: "Dass der Eiskunstlauf der Herren ein Schwulensport sei, ist ein großes Missverständnis - auch wenn die männliche Bevölkerung Amerikas davon überzeugt ist. Dabei gibt es so viele Heteros unter uns." Und die sind es, die mit dem schwulen Image ihrer Disziplin hadern.
"Ich brauch mir doch nur meine Konkurrenten anzuschauen", sagt der französische Meister Brian Joubert, "dann weiß ich, warum man Eiskunstlauf für einen Mädchensport hält." Sein Vorgänger, Philippe Candeloro, sekundiert: "Lange habe ich meinen Freunden verschwiegen, was ich auf dem Eis mache. Für die ist das ein reiner Tuntensport."
Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele will auch der kanadische Eislaufverband Skate Canada das Problem erkannt haben und startete eine Kampagne, um dem Sport ein neues Image zu verpassen. Die Aktiven sollten doch von "Stärke", "Kraft" und "Tempo" reden, wenn sie öffentlich über ihre Disziplin sprechen, so die Empfehlung der Funktionäre.
Außerdem dürfe man nicht vergessen, dass die Eiskunstläufer schneller seien als die Eishockeyspieler, höher sprängen als jeder Basketballer und härter fallen würden als die meisten Fußballer. Im Übrigen sollten die Läufer auf Pailletten und Federn verzichten, das gehöre in eine Show und nicht in den Wettkampf. Hintergrund der Kampagne sind sinkende Einschaltquoten und der aktuelle Streit um die Ausrichtung des Sports: Athletik vs. künstlerischer Ausdruck.
Als kanadische Schwulenaktivisten den Zungenschlag in der Debatte kritisierten, begegnete ihnen der Verband mit einem Schulterzucken: "Was wollt ihr eigentlich? Der Eiskunstlauf ist doch die einzige Sportart, bei der man schwul und erfolgreich sein kann." Mögen die Funktionäre recht behalten. Wir drücken Johnny Weir die Daumen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!