die wahrheit: Charakterschwein Dachs
Meister Grimbart ist Wildtier des Jahres und ein echter Unsympath.
Ausgerechnet der Dachs, den wir bereits ausführlich auf dieser Seite kritisiert haben (Die Wahrheit v. 9. 7. 2009), wurde zum "Wildtier des Jahres 2010" ausgewählt. Warum die Schutzgemeinschaft Deutsches Wild gerade Meister Grimbart wählte, ist schwer nachzuvollziehen, in einer Zeit, da die Faulheit reihum gescholten wird. Denn just diese Faulheit ist das Panier des Dachses.
Schon der Begriff "Wildtier" ist für den Dachs irreführend, denn er ist alles andere als wild. Man könnte ihn als den Pantoffelhelden unter den Marderartigen bezeichnen, denn aus reiner Bequemlichkeit lebt er in lebenslanger Einehe. Faul, wie er ist, schläft er den Winter gleich ganz durch und des Sommers tut er auch nicht viel. Erst nachts kommt er aus seinem Bau, schlägt sich zügig den Bauch mit Fallobst und Kerfen voll, um sich dann rasch wieder seinem geliebten Verdauungsschlaf zu zuwenden.
Auch seine Ranzzeit kommt mit der ihm eigenen gehörigen Verspätung. Anstatt wie unsereins im Frühjahr der Balz zu frönen, ist beim Dachs erst im Herbst Roch und Rollzeit, wie wir Fachleute seine Ranz scherzhaft nennen.
Dem kurzen Aufflackern der sexuellen Aktivität folgt wieder die lange, träge Winterruhe in seinem spießigen Wohnkessel, den der Saubermann pedantisch rein hält.
Wahrscheinlich hat der denkfaule Dachs noch nicht einmal mitbekommen, dass er längere Zeit auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten stand. Heute haben sich seine Bestände erholt, und Jagdfreunde konnten in der Jagdsaison 2007/2008 erfreuliche 49.794 Dachse erlegen.
Doch früher stellte ihm der Mensch weitaus konsequenter nach, und so gilt heutzutage als der größte natürliche Feind des Dachses seine eigene Faulheit. Einst wurde er noch gern als Braten verzehrt, und sein Dachsfett wurde für sedierende medizinische Einreibungen genutzt. Auch Dachsmützen und Jäckchen sind aus der Mode gekommen, und anstelle von Dachshunden hält der Mensch Möpse und Golden Retriever, die zur Dachsjagd nicht taugen.
Eine Schönheit, die seine Wahl rechtfertigen würde, ist der grau-schwarze, walzenförmige Geselle auch nicht gerade. Einzig die aparte schwarze Maske umgibt den Dachs mit einer geheimnisvollen, kriminellen Aura, die sofort verfliegt, wenn unser Auge auf den plumpen, schlurfenden Sohlengang des grantigen Einzelgängers fällt.
Überhaupt wird sein Charakter reihum als jähzornig, streitlustig und aggressiv beschrieben. Wie nun gerade dieser ausgewiesene Unsympath zu der Ehre kam, von der Schutzgemeinschaft Deutsches Wild zum Tier des Jahres ausgewählt zu werden, können wir nur mutmaßen. Sollte der Dachs seine wohlgefüllte Speisekammer geopfert haben, um die Jury von ihm einzunehmen? Wir wissen es nicht, aber da ist doch etwas faul!
Der wendige Fischotter, das quecksilbrige Eichhörnchen, der leckere Frischling - alles Kandidaten, deren Wahl nachvollziehbar gewesen wäre, aber der Dachs dürfte als Wildtier des Jahres in die Annalen als krassestes Fehlurteil der neuen Dekade eingehen!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs