piwik no script img

die wahrheitKühe ohne Kinder

Volksglaube lässt sich nicht pragmatisch erklären. Ein Querschnitt über Riten und Bräuche aus aller Welt verschafft einen Einblick. Bunte Rituale und Regeln, die überraschen.

Wenn in Zisleithanien heute schönes Wetter ist, wird morgen Mittag alles aufgegessen. Bild: dpa

Es gibt mehr Dinge auf der Welt, als das uns allen bekannte Zitat uns auch nur schattenhaft erahnen lässt. Denn nicht durch kerzengerades Denken und Planen allein lässt sich die graue Wirklichkeit zurechtbiegen, es braucht mehr. Deshalb zaubert der Mensch seit je bunte Rituale und Regeln aus seinem dicken Hut, um die Welt mit seinem Wunsch und Willen auf eine Linie zu bringen. Wie das geht? Keine Ahnung:

***

Um das ganze Jahr wie ein Pferd arbeiten zu können, trägt man bei den Südbulgaren zu Silvester traditionell Pferdefleisch auf. Die von dieser Tradition betroffenen Pferde arbeiten allerdings das ganze Jahr so gut wie nichts mehr.

***

"Wenn die Sonne / an jenem Vormittag / zweimal untergehen tut / und ein eitel Sack Erdäpfel / mit gar lautem Bumsti umstürzet / dann kummets, ihr Menschlein!" 1889 schrieb der linkselsässische Hellseher Albert Munziger diese Verse nieder, in denen er für das 20. Jahrhundert zwei Weltkriege und eine große Wirtschaftskrise vorhersah. Und tatsächlich: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dem Vormittag, gab es zwei Weltkriege und eine große Wirtschaftskrise!

***

Bei den schwarzrussischen Kosaken gibt man sich keinen Bruderkuss, sondern spuckt sich an und verreibt die Spucke im Gesicht des Gegenübers. Nicht zu spucken, gilt als tödliche Beleidigung und hat zur Folge, dass man bis ans Ende seiner Tage vom ganzen Dorf nicht mehr angespuckt wird.

***

"Sie werden Erfolg haben, aber selbst, wenn er ausbleibt, werden Sie ein glücklicher Mensch sein, wiewohl es auch dunkle Stunden in Ihrem Leben geben wird. Gutes und Schlechtes wird Ihnen begegnen, und der Kaffee wird mal zu heiß, mal zu kalt und mal gerade richtig sein": So lautet ein typisches Geburtshoroskop des Instituts für Astrologie in Freiburg am Main. Skeptiker, schmunzelt Institutsleiter Dr. Fadenscheiner, haben natürlich recht: Das Horoskop trifft nur für jene zu, die in einem der zwölf Sternkreiszeichen geboren wurden.

***

Überall in Hinteramerika ist der Glaube verbreitet, dass sich Männer nachts in Werhamster verwandeln, über schutzlose Kühlschränke herfallen und sich die Backen vollstopfen.

***

Keine einzelne Madonna, die Blut weint, sondern zahllose Fässer, aus denen Wein fließt, locken alljährlich zigtausende Pilger an den deutschsprachigen Rhein. Wer den Wein kennt: ein Wunder!

***

Dass eine Seuche die halbe Einwohnerschaft der Südseeinsel Saint Merde et Miquelon hinweggerafft hatte, war nach Ansicht des damals, 1967, amtierenden Bischofs eine Strafe Gottes für die Sünden der Bevölkerung. Dass tatsächlich eine höhere Macht im Spiel war, zeigte sich, als ein Erdbeben den Dom zum Einsturz brachte, die Lava eines soeben ausbrechenden Vulkans seinen Amtspalast unter sich begrub und er selber im vollen Ornat von einer durchgedrehten Schafherde zertrampelt wurde.

***

Nach Auffassung der vordereuropäischen Kakanier haben Kinder einen Schmutzengel, der sie davor bewahrt, mit sauberen Sachen vom Spielen heimzukommen.

***

Wenn in Zisleithanien heute schönes Wetter ist, wird morgen zu Mittag alles aufgegessen.

***

"Das ist nicht das Feuchte vom Hund." - "Wenn der linke und der rechte Fuß sich nicht verstehn, musst du auf den Händen gehn." - "Auch eine Oma an der Wäscheleine muss erst trocknen." - "Dem Gespackten ist das Gespöckte niemals recht." Wie in anderen Kulturen bedienen sich die in Ostkorea ansässigen Westkoreaner ihrer aus der Weisheit unzähliger Generationen schöpfenden Sprichwörter und Redensarten, um die alltäglichen Geschehnisse besser zu verstehen und die Welt sinnvoll zu ordnen.

***

In der Kultur der Tumori in Melanesien gilt es als Ehre, wenn ein Kind vom Medizinmann in die körperliche Liebe eingeführt wird, und die Betreffenden tragen die Erinnerung daran ihr Leben lang wie eine Auszeichnung.

***

Immer wieder beten die erfolgreich christianisierten niederafrikanischen Humba, deren Ehe kinderlos ist, zur heiligen Jungfrau Maria, damit ihre Kuh endlich einen Jungen oder ein Mädchen gebäre. Doch jedes Mal bringt sie nur einen missgebildeten Menschen zur Welt, der mehr oder weniger einem Kalb gleicht.

***

"Du musst es dreimal sagen", sagen die mikronesischen Makronesier, sonst geht es nicht in Erfüllung. Diese Formel also nicht.

***

In der weltweiten Kultur der Möbelpacker ist keine Séance nötig, um einen Tisch zu rücken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!