die wahrheit: Die Berg- und Talibahn
Endlich gibt es eine Lösung für den Krieg am Hindukusch. Afghanistan kommt nicht zur Ruhe. Je mehr deutsche Soldaten sterben, umso mehr nähert sich die Lagebeschreibung...
... der Realität an: "Kriegsähnliche Zustände" wurden schließlich zu etwas, das man mit dem unschönen Wort "Krieg" bezeichnen muss. Den Toten nutzen derlei verbale Verrenkungen der zuständigen Politiker nichts mehr. Umso wichtiger für die noch Lebenden, dass endlich ein Ausweg aus der afghanischen Misere gefunden wird.
Auch bei der Bezeichnung des Gegners läuft die Euphemismus-Maschinerie auf Hochtouren: Terroristen werden zu "Terrorverdächtigen", Taliban zu "gemäßigten Taliban", die schließlich zu Verhandlungspartnern mutieren. Denn eines ist inzwischen allen klar: Ohne die Einbindung der Taliban wird am Hindukusch kein ziviler Aufbau erreicht werden können. Doch - beim Barte des Propheten - wie soll die Partnerschaft mit den wandelnden Sprengkörpern gelingen?
Dazu genügt ein Blick in ein Erdkundebuch aus den Sechzigerjahren: "Afghanistan", heißt es da in geradezu poetischem Duktus, sei ein "Pufferstaat ohne Eisenbahn". Über die Jahrhunderte hin und her geschubst von den Großmächten, die ihre Hegemonialansprüche mit Hilfe Afghanistans abpufferten - und die das Land nach ausgiebigen Pufferdiensten mangels Eisenbahn nicht einmal aufs Abstellgleis der Weltgeschichte rangieren konnten.
Ganz klar - Afghanistan braucht eine Eisenbahn! Schon die sowjetischen Besatzer versuchten diesen Mangel zu beheben, indem sie über die "Brücke der Freundschaft" ein Gleis vom usbekischen Termes in das am Grenzfluss Amu-Darja gelegene Hairatan verlegten, was die Gesamtlänge des afghanischen Schienennetzes auf satte 24,6 Kilometer brachte. Die Bundeswehr sollte es sich jetzt zur Aufgabe machen, diesen Schienenstrang zumindest bis ins deutsche Feldlager in Masar-i-Scharif zu verlängern. Der Aufbau einer afghanischen Eisenbahn wäre eine nationale Aufgabe, die das Nation-Building der explosiven Turbanmänner endlich voranbringen könnte.
Hier die Vorteile im Detail:
Der Bau eines Schienennetzes würde Tausende von arbeitslosen Landarbeitern in Lohn und Brot setzen unter der Devise: "Gleisbau statt Mohnanbau". Auch beim Betrieb und Unterhalt einer afghanischen Bahn könnten Tausende eine Lebensaufgabe finden: als Schrankenwärter, Lokführer, Zugbegleiter oder Weichensteller. Major Wolfgang Dinslake, der im Planungsstab des Bundeswehrkommandos für den zivilen Aufbau zuständig ist, schwärmt schon jetzt von einem Afghanistan mit schienengebundenem Personenverkehr: "Wenn wir es tatsächlich schaffen, hier ein Eisenbahnnetz aufzubauen und die Taliban daran zu beteiligen, dann haben wir die radikalen Wirrköpfe einer wirklich sinnvollen Aufgabe zugeführt. Dann nennen wir die afghanische Bahn ,Talibahn'."
Major Dinslake, selbst ein begeisterter Modelleisenbahner, weiß, dass das Bahnsystem eine große Disziplinierungsmaschinerie wäre, durch die die bei männlichen Afghanen weitverbreitete, kindliche Freude an Knall- und Ballerei in zivilisatorisch wertvolle Bahnen gelenkt werden könnte. "Es spricht ja nichts dagegen, dass ein Bahnhofsvorsteher das Signal zur Abfahrt des Zuges nicht mit der Trillerpfeife, sondern mit der Kalaschnikow gibt. Vorausgesetzt, er richtet sie gen Himmel und nicht aufs Bordbistro." Dinslake hat selbstverständlich auch für das Fahrkartensystem schon einige Ideen. Nach dem Vorbild der Deutschen Bahn plant er die Einführung von Sondertarifen für die afghanische Großfamilie: Das "Quer-durch-den-Hindukusch-Ticket" gehört ebenso dazu wie das "Schöner-Ramadan-Ticket".
Einzig die gebirgige Topografie des Landes bereitet dem jovialen Wuppertaler Sorgen. Für den Tunnelbau braucht es schweres Gerät, das in dem armen Land nicht zur Verfügung steht und, auch wenn es vorhanden wäre, wohl kaum vor Ort transportiert werden könnte. Doch der findige Major hat auch dafür eine Lösung - prädestiniert für diese anspruchsvollen Grabungsarbeiten sind die hervorragend ausgebildeten Selbstmordattentäter aus den Terrorcamps, die ihre Sprengleidenschaft beim Tunnelbau im Hindukusch nach Herzenslust ausleben könnten.
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