die wahrheit: Das schwarze Schlitzohr
Schurken, die die Welt beherrschen wollen: Norbert "Schnieko" Röttgen.
Konservative Knochen, die der Allgemeinheit mit eisengrauen Ansichten aus der Mottenkiste auf den Nerven tanzen; reaktionäre Säckel, die gegen alles treten, was fremd schmecken könnte; autoritäre Backen wie Konrad Adenauer, in Gift und Galle lebende Rumpelstilzchen wie Franz Josef Strauß: solche Figuren sind nahezu vollständig von der Bühne geräumt.
Die Konservativen haben es gelernt: Man muss mit der Zeit gehen, sonst fallen einem die Beine ab. Dem Konservativen moderner Bauart ist eine gute Portion Freundlichkeit in die Augen montiert, wohingegen einer aus der alten Modellreihe wie Alfred Dregger schon im Gesicht die ewige Wehrmachtsuniform zur Schau trug. Ein typisch gewachsener Christdemokrat von heute wie Norbert Röttgen zeigt sich urban gepflegt vom locker gemähten Haupthaar über den ewigen Schlips mit Anzug bis zur mit der Zunge abgeleckten Schuhspitze; und wer ihn in seinem Ministerbüro besucht, wird sogar mit einem selbst angebauten Espresso bewirtet und darf mit der Hand voran in ein Glas mit bunten Gummibärchen greifen.
Rot, gelb, blau und grün leuchtet das sinnige politische Naschwerk, und alle Spektralfarben zusammengerührt ergeben bekanntlich Schwarz, genau wie bei Röttgen selbst. Schon Mitte der Neunzigerjahre war "Schnieko", wie sein Spitzname lautet, Mitglied der "Pizza-Connection", als Nachwuchspolitiker von Union und Grünen bei einem Bonner Italiener die Nasen zusammensteckten. Als Angehöriger der - erstmals in der Menschheitsgeschichte ohne Beulen aufgewachsenen - Generation Golf, die allenfalls den Klassenkampf zwischen Kaba und Nesquik, Geha und Pelikan kennengelernt hat, weiß er um die verbindende Kraft des Gemeinsamen in einer übereinstimmend gewollten Kultur der Gleichgesinnten und könnte genauso gut grün, FDP oder Schröder-SPD sein.
Infolgedessen ist er CDU. Bereits 1984, mit gerade mal 19 Lenzen hinter den Ohren, war Röttgen schwarz und schlug seine Heimat in der Union auf. Zehn Jahre später, sein Jurastudium hatte er ecken- und kantenfrei abgespult, wie es sich gehört, ließ sich das jetzt schon nützliche Mitglied der Gesellschaft in den Bundestag expedieren. Dort begriff er, dass Helmut Kohl ein Koloss auf toten Füßen war, Angela Merkel hingegen eine goldene Zukunft blühte. In ihrem Heckwasser wuchs er heran, durfte 2005, zusammen mit Volker Kauder und Markus Söder, das Wahlprogramm der CDU/CSU ihr nach dem Mund schreiben und sich danach als Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Bundestagsfraktion das Rampenlicht für die weitere Karriere verdienen.
Von Merkel lernte Röttgen das praktische Dogma moderner Politik: sich den täglich wechselnden Umständen anschmiegen ohne die Bremse durch eine eigene Überzeugung. So ist man stets mit den stärkeren Bataillonen. Röttgen tapezierte sein Profil infolgedessen mit Wirtschaftspolitik und sollte 2007 sogar als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie und zugleich Bundestagsabgeordneter eine fette Brücke zwischen Politik und Wirtschaft schlagen. Dieser Plan zerstob nur deshalb, weil die fette Brücke zwischen Politik und Wirtschaft dadurch unübersehbar geworden wäre.
Ein weniger klar bezifferter Interessenposten wurde gesucht, und infolgedessen wurde Röttgen 2009 Bundesumweltminister. Grün gestrickte Abteilungsleiter und Fachleute ließ er in fremde Büros umtopfen, wo ihr Expertenwissen lautlos ins Leere läuft, und zum Chef der Abteilung für Reaktorsicherheit bestellte er den mit allen Tricks gewaschenen Atomlobbyisten Gerald Hennenhöfer. Der hatte einst als Unterhändler des Eon-Vorläufers Viag den Atomkonsens mit einem Grinsen in den Augen geschluckt, weil dank dem Gesetz der Betrieb von AKWs ganz legal bis in die letzten Puppen verlängert werden kann: Maßgeblich dafür sind "betriebswirtschaftliche Gründe"; "Sicherheitsfragen […] sind hingegen nicht maßgeblich", so ein Gutachten des ganz legalen Hennenhöfer.
Ebenso legal ist Norbert Röttgen, der das seit dem Jahr 2000 gültige Moratorium für Gorleben abblies, da die wackeligen Salzstöcke sich inzwischen vielleicht doch als sicheres Atommüll-Endlager eignen; es wäre das Erste im ganzen Universum. Dabei weiß jeder, dass man in Gorleben nur Atomlobbyisten und ihre Regierungsangestellten sicher endlagern kann.
In öffentlich zugänglichen Reden ernährt sich Norbert Röttgen von Kreide. Da badet er in einem "energiepolitischen Gesamtkonzept", zu dem freilich nicht gehört, dass alte, löchrige Meiler wie Biblis oder Neckarwestheim, die aus allen Nähten pfeifen, schnell abgeschaltet werden. Stattdessen lässt er sich die Vision auf der Zunge zergehen, dass irgendwann alle AKWs auf dem Globus ausgeknipst werden - aber bis dieser Tag am Horizont aufgeht, sei ein nationaler Alleingang albern, weil die hochgezüchtete deutsche Wirtschaft dann aus den Pantinen kippe.
Röttgens "ökologische Industriepolitik" meint grün antäuschen und schwarz vollstrecken. Das dürfte ihm eine strahlende Zukunft sichern, denn er ist heute schon so, wie die Grünen in ein paar Jahren sein werden.
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