die wahrheit: Der homosexuelle Mann...
... im Doppelpack ist seinem Begehren, gleichgestellt zu sein mit heterosexuellen Paaren, wieder ein Stück nähergekommen. Peu à peu muss er sich vor Gericht erstreiten,...
... dass aus der aktuellen Rumpfehe endlich eine vollwertige wird. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht erneut in dieser Sache gesprochen und die Benachteiligung bei der Erschaftsteuer beendet. Noch stehen Ehegattensplitting und Adoption auf der Agenda, und das gleichgeschlechtliche Ehepuzzle ist komplett.
So viel Annäherung des Fremden an das Vertraute bringt immer noch und immer wieder Neider und Gegner auf den Plan. Gut gemeint und ganz daneben kommentiert da beispielsweise ein Kollege in der Süddeutschen Zeitung das Urteil und steigt ein mit einem Rückgriff auf Émile Zola, der einst von Homosexuellen als "halben Mädchen" und "halben Jungen" schrieb und sie mit einem Buckligen verglich. So präpariert will man derlei Assoziationen eigentlich nicht weiter folgen.
Auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung sucht in der Angelegenheit Schützenhilfe bei den Klassikern und zitiert Thomas Mann, der einmal - in einer frühen Auseinandersetzung mit seinem schwulen Sohn Klaus - schrieb, dass die Homosexualität nichts weiter sei als "lart pour lart", außerdem aussichtslos, konsequenz- und verantwortungslos und "ohne Zweifel unmoralisch". Gern folgt der FAS-Kollege dem verkappten homoerotischen Vater und macht aus dem Homosexuellen einen "sogenannten" Homosexuellen, mit dem jede Beschäftigung "irrelevant" sei, lediglich ein "Orchideenthema".
Damit das Fremde bei aller juristischen Annäherung auch wirklich fremd bleibt, legt die SZ auf ihrer Wissenschaftsseite nach und präsentiert "Zehn Dinge, die Sie noch nicht wissen über Homosexualität". Die darauf folgenden Schnurren möchte man abtun als Satire, aber der Ton und die Verweise - wie immer bei solchem Unsinn - auf amerikanische Studien legt den Verdacht nahe, der Autor meine es ernst. So sollen sich homosexuelle Männer besser andere Gesichter einprägen können als heterosexuelle, der Anteil an Linkshändern sei höher unter ihnen als unter Heterosexuellen, außerdem gingen sie häufiger zum Psychiater, und die Chance, schwul zu werden sei deutlich größer, je mehr ältere Brüder einer hat. Um den paranoiden Differenzcocktail zu vervollständigen, werden auch noch Forschungsergebnisse mit einem Hefepilz herangezogen, mit Berggorillas, mit Fruchtfliegen und mit Libellenlarven.
Damit der Homo-Experte der SZ seine Vorurteile vervollständigen kann, hier noch ein paar Studienergebnisse mehr: Milch und Fleisch von gemästeten Rindern führen zu Homosexualität; Mäuse, die zu lauter Disco-Musik ausgesetzt waren, wurden homosexuell; ständiger Marihuana-Konsum macht ebenso schwul wie eine Sterilisation. Und so weiter. Heterosexuelle Wissenschaftler wollen immer wieder neu dem Homosexuellen auf die Spur kommen, und sind nur angetrieben von einem Gedanken: Wie lässt sich die Abart vermeiden und abschaffen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos