die wahrheit: Kommunistische Folterknechte
Die famose Trümmertruppe Salems Law, der als Gitarrist anzugehören ich die große Ehre hatte, sollte einst in den Achtzigerjahren in Hamburg auftreten.
Als Vorband von Sojus, einer wohl vom russischen Propagandaministerium im Rahmen eines Kulturaustauschs nach Westdeutschland geschickte Metal-Band, die uns der Veranstalter als "so ne Art Hobbyband von verdienten Ex-KGBlern" vorstellte. "Die haben alle Dreck am Stecken, da geht mal von aus."
Wir hatten folglich etwas Schiss in der Hose, als wir den schwarzen Lada Kombi vor den Toren des Clubs parken sahen. "Wie so ein Leichenwagen", schluckte unser Sänger. Aber die vier kommunistischen Folterknechte von Sojus entpuppten sich als wahrhafte Märchenrussen: liebenswürdig bis zur Selbstaufgabe, herzlich, leutselig, besoffen.
Der Gitarrist nahm mich gleich zur Seite und ließ sich unter lautstarken Ausrufen der Begeisterung mein Standard-Equipment erklären. Dann zeigte er mir seinen eher an einen alten Karnickelverschlag gemahnenden Amp und den handgeschnitzten, mit dem östlichen Pendant von Pril-Blumen geschmückten Fünfsaiter. Tatsächlich, seine Gitarre besaß nur fünf Saiten. Ich ersparte mir jeden Hinweis darauf, sondern tat zunächst so, als wollte ich tauschen. Als er mir dann aber sofort die Hand zum Einschlagen hinhielt, hatte ich doch nur einen kleinen Scherz gemacht.
Wir verstanden uns prächtig, vertrieben uns die Zeit bis zum Auftritt mit diversen Wodka-Mixgetränken, kommunizierten in einer Art Rock-n-Roll-Esperanto aus englischen Phrasen, deutschen Schimpfwörtern, russischer Lautstärke und Stummfilmgestik und sahen zu, wie sich das Lokal mit der für einen Mittwoch üblichen Handvoll Einzelsäufern füllte. "Das hätte ich euch gleich sagen könnte", meinte der Wirt, der diesen Termin vorgeschlagen hatte.
Irgendwann gingen wir auf die Bühne, die Stammgäste sahen nicht mal auf, dafür schufen die Jungs von Sojus, durch die vielen Spartakiaden und Parteiaufmärsche in so etwas geübt, eine aufgeheizt-brodelnde Clubatmosphäre. Erst nachdem die Sowjets uns drei Zugaben abgetrotzt hatten, ließen sie uns die eine Stufe von der kleinen Bühne hinuntersteigen, um nun ihrerseits anderthalb Stunden Musik zu machen, die - selbst auf ihren sowjetischen Heimwerkergeräten - unser vierschrötiges Gefuchtel so locker deklassierte, dass meine Wangen vor Scham glühten.
Sollte kurz vorher einer gefrotzelt haben, warum die "dummen Russkis eigentlich nach uns spielen dürfen", fügten wir uns für den Rest des Abends in die Rolle der Fans, die ihren Künstlern jeden Wunsch von den Augen ablesen. Schließlich steckten sie uns Marx- und Lenin-Badges an die Lederjacken, wir warfen uns noch kurz vor ihnen in den Staub, dann trennten sich unsere Wege. Für immer.
Als nach halbstündiger Autobahnfahrt unser Sänger das sibirische Schweigen im Bandbus brach, um seine Sicht der Dinge kundzutun ("Sooo gut waren die jetzt aber auch nicht!"), antwortete ihm ein vierköpfiger Chor aus überzeugten Kommunisten: "Schnauze!"
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