die wahrheit: Die Peitsche der Pampa
Argentinien-Woche der Wahrheit. Auf dem glühenden Grill des Hasses.
Der Debütroman des jungen argentinischen Autors Fernandéz Mauríze Martinézque wird, wenn man den ihm vorrauseilenden Gerüchten Glauben schenken darf, auf der Frankfurter Buchmesse 2010 massiv für Furore sorgen. Der Wahrheit ist es gelungen, schon vor der offiziellen Präsentation des 2.000-seitigen Werks an ein Manuskript zu gelangen. Hier eine Leseprobe:
Dolorés war wie erstarrt, als sie dem mit einem Messer bewaffneten Schlächter direkt in die flammenden Augen blickte. Mit nackten Armen und entblößter Brust, das lange Haar verworren, Gesicht, Hemd und Chiripá blutverschmiert, stand er vor ihr. Wie ein Brandeisen zischten und schmurgelten sich diese Augen direkt unter ihre Haut, und Dolorés bemerkte schmerzhaft, wie ihr die vom alltäglichen Tango durchtrainierten Beine wegzusinken drohten. Hatte sie diesen Blick nicht schon einmal irgendwo gesehen …?
Es war wie eine ferne Erinnerung an Kindheitstage, in denen sie und ihr bester Freund Tomás auf ihren ungestümen und unzähmbaren Criollos wild über die weite Pampa jagten - ohne Sorgen und ohne Gedanken … Damals waren sie die Herrscher über die Rinderherden gewesen, die sie nur zum Spaß durch die weite Unendlichkeit der argentinische Landschaft trieben. Es war Dolorés, als könne sie noch die klagenden Rufe der gehetzten Rinder hören, die sich mit ihren und Tomás Jubelrufen zu einer kakophonischen Chacarera vermischten. Wo war sie geblieben, die unbeschwerte Jugend? Dahin, dahin … - fortgeschwemmt von den trägen Wellen des majestätischen Rio Negro. Zerbrutzelt wie ein zähes Steak auf dem glühenden Grill des Hasses. Zerstampft wie ein zarter, junger Grashalm unter den donnernden Hufen unzählbarer rasender Rinder.
Mit Abscheu dachte Dolorés an ihren Gatten Joaquín, den schwerreichen Rinderbaron, an den sie im zarten Alter von 17 Jahren wie ein Rind verschachert worden war. Einem alten, argentinischen Brauch zufolge war die junge Braut von den Hochzeitsgästen mit Charangos verprügelt worden, während sie auf untergeschnallten Stierhufen Fußbälle auf eine Torwand schießen musste. Don Joaquín de Peréz-Casanova, ihr frisch angetrauter Mann, war damals 58 Jahre alt und regierte seine Farm und seine Familie mit knallender Peitsche und zerlaufener Kräuterbutter. Nur allzu oft hatte Dolorés hilflos mit ansehen müssen, wie Don Joaquín sein von der sengenden Sonne der unerbittlichen Pampa erblindetes Mütterlein dazu zwang, Berge von Grillfleisch mit heißer, flüssiger Kräuterbutter hinunterzuspülen, bis "La Madre" - wie die alte, vom Leben gerittene Frau von allen außer Don Joaquín liebevoll genannt wurde - sich in ihre Bombachas de Campo kleidete und zu Bett ging?
Dolorés hätte weinen mögen, doch sie hatte keine Tränen mehr. Sie war gefangen in dem goldenen Käfig, aus dem es kein Entrinnen gab. Ihr blieben nur noch die Träume von Tomás, dem Gefährten ihrer Kindheit, mit dem sie sich ewige Treue geschworen hatte … Tomás, der Gaucho werden wollte und versprochen hatte, sie, Dolorés, vor allem Unbill zu beschützen und ewig an ihrer Seite zu bleiben …
Doch nun blickte Dolorés in die flammenden Augen des blutüberströmten Schlächters in der haziendaeigenen Metzgerei ihres verhassten Mannes Don Joaquín, in die sie sich geflüchtet hatte, um den knallenden Peitschenhieben, mit denen er sie von morgens bis abends traktierte, zu entfliehen.
"Tomás, du?", entrang es sich krächzend ihrer Kehle.
"Dolorés, du?"
Sie schwiegen eine lange Zeit. Wozu bedurften sie der Worte? Der Gebrauch der Sprache hört auf, wenn sich die Seelen einander unmittelbar mitteilen, sich inwendig anschauen und berühren und in einem Augenblick mehr empfinden als jedes Rind in seinem ganzen Leben.
Doch plötzlich kündete der durchdringende Geruch zerlaufener Kräuterbutter untrüglich vom Herannahen des grobschlächtigen Don Joaquín. Schon krachte ein Tritt gegen die massive Schlachthaustür, schon barst das schwere Holz aus seinem Rahmen … Dolorés warf sich angstvoll an Tomás, der sie in seinen starken Armen barg. Beide blickten mit aufgerissenen Glutaugen zu der ausgefetzten Türöffnung, in der sich die mächtige Silhouette des Rinderbarons erhob. Schon hob er den Arm, holte aus zum Peitschenhieb, der die beiden Liebenden schmerzhaft treffen und trennen sollte …
Tomás wirbelte herum und ergriff eine rohes Steak von der Schlachtbank, das er mit einer kraftvollen Bewegung auf Don Joaquín schleuderte. Das war wieder der Tomás, den Dolorés aus ihrer Jugend kannte. Wie in Zeitlupe sah sie das Steak in Don Joaquíns Gesicht klatschen …
Und es sollte das Ende eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Rinderbarone besiegeln. Für Dolorés und Tomás aber ward schließlich alles gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht