die wahrheit: Selbst ist der Weihnachtsmann
Seit Tagen legt Frau Hammler Listen an, wer zu Weihnachten mit was zu beschenken sei. Ihre Bitte, ihr Mann möge sich beteiligen, verhallt unbeachtet. Das ...
... sogenannte Weihnachtsfest, grummelt Herr Hammler aus dem Ohrensessel, sei ihm vollkommen egal, weil es sich dabei um eine Erfindung der bankrotten Kaufhausbagage handle, die einzig dem Zweck diene, ihm Geld aus der Tasche zu ziehen.
Dann, stöhnt seine Frau, werde seine Erbtante Adelheid eben unbeschenkt bleiben. Für die falle ihr überhaupt nichts ein; schließlich habe sie die in ihrem Leben nur einmal gesehen, weil sich die unausstehliche alte Kachel das ganze Jahr nicht aus ihrem Eichstätt hinausbegebe.
Die einzige ihm bekannte Vorliebe der Tante, sagt Herr Hammler, sei Eierlikör. Da werde er Pech haben, sagt seine Frau, weil die Vorräte in den umliegenden Geschäften längst ausverkauft seien. Dann, sagt er, werde er dieses Zeug eben selbst herstellen, so schwer könne das nicht sein.
Bald darauf schleppt Herr Hammler 30 Eier und vier Pfund Zucker nach Hause und beschließt, der 80-prozentige Stroh-Rum, den ihm sein dementer Firmpate seit 50 Jahren jedes Jahr schicke, sei ein winterliches, also weihnachtliches Getränk und für die Herstellung von Eierlikör bestens geeignet.
Nachdem er Eier, Zucker und gut zwei Liter Rum zusammengeschüttet hat, beginnt Herr Hammler mit Abschmecken, woraufhin schon bald aus der Küche ein fröhlicher Gesang ertönt, der seine Frau mit zunehmender Lautstärke immer besorgter macht, bis er plötzlich vom wütenden Brüllen des Pürierstabs abgelöst wird, dem Klappern, Klirren und laute Flüche folgen.
Sie findet ihren Mann umgeben von Tüten, Flaschen, Gläsern, Eierschachteln und -schalen, von Kopf bis Fuß beschmutzt mit zähem grünem Schaum, der auch an Wänden, Boden und Decke klebt. Ob er am Ende das Eiweiß mit hineingerührt habe, fragt sie entsetzt. Das sei ihm egal, lallt Herr Hammler, hier gehe es ausschließlich um Geschmack, sauber machen könne man später.
Dann nimmt er einen weiteren Esslöffel der Substanz zu sich, wirft je vier Zimt- und Vanillestangen sowie den Inhalt eines Glases mit der Aufschrift "Nelken", in dem sie seit 20 Jahren getrocknete Morcheln aufbewahrt, in die Schüssel und rührt weiter. Als der Lärm nach Sonnenuntergang nicht nachlässt, besucht Frau Hammler zum ersten Mal seit ihrer Kindheit einen Abendgottesdienst.
Dass ihr Mann, der bei ihrer Heimkehr nackt auf dem Sofa schläft, seine Bemühungen schließlich aufgegeben und beschlossen hat, aus dem grün verfärbten Eierteig wenigstens ein Omelett zu bereiten, wobei es auf dem Gasherd zu einer explosionsartigen Verpuffung kam, in deren Folge die stoffbespannte Küchenlampe abgebrannt und die klebrige Masse an den Wänden verteilt worden ist, erfährt sie erst am nächsten Tag, als es ihr gelingt, ihren Mann zu wecken. Dieser putzt am Sonntag schwer verkatert die Wohnung, ersteht am Montag für die Tante einen Stollen mit Eierliköraroma und erklärt das Thema Weihnachten endgültig für erledigt.
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