die wahrheit: Mondrian lässt grüßen
Kosmetikindustrie: Interview mit einem Verpixelungsexperten.
Sanfte Flötentöne erklingen, wenn man die Räume der Gesundheitspraxis PixelPoint in Berlin-Mitte betritt. Von hier und dort kann man auch gellende Schmerzensschreie vernehmen. "Das ist aber nicht die Regel", sagt Herbert Schmiedering, 34, der diese Praxis seit anderthalb Jahren mit stetig wachsendem Erfolg betreibt. "Es tut nicht weh, wenn man sich das Gesicht verpixeln lässt. Doch das gilt nun mal nicht für alle Körperteile …" Im Interview mit der taz spricht er ganz offen über seine Geschäftsidee, seine Kunden, seine Erfolge und seine Irrtümer.
taz: Erklären Sie uns doch bitte mal zuerst, welche Dienstleistung Sie anbieten.
Herbert Schmiedering: Aber gern! Sie kennen doch gewiss das leidige Problem des Dahinschwindens der Intimsphäre. Heutzutage kann jeder, dem es beliebt, mit einem Fotohandy und einem Gesichtserkennungsdingens via Internet in Sekundenschnelle Ihre Identität ermitteln. Beispielsweise an der Supermarktkasse oder auch in einem total abartigen Swingerclub. Und zong, schon ist die Anonymität dahin! Und deshalb bieten wir allen Bürgern, die auch im Zeitalter des Internet anonym bleiben wollen, eine Gesichtsverpixelung an.
Und was kostet das?
Je nach Gesichtsfülle zwischen dreißig und fünfzig Euro. Für eine Verpixelung de luxe, bei der auch die Stimme, die Fingerabdrücke, der individuelle Mundgeruch und das Gebiss verpixelt werden, können allerdings schon mal so an die zwanzigtausend Euro fällig werden. Wir hatten hier kürzlich einen französischen Spitzensportler zu Gast, der sich sogar sein Sternbild verpixeln lassen wollte. Aber ganz so weit sind wir noch nicht.
Das heißt, man begibt sich bei Ihnen unters Messer und kommt mit einem verpixelten Gesicht wieder heraus?
Genau. Und dann sieht man für immer so aus.
Lässt sich das rückgängig machen?
Nein. Einmal verpixelt, immer verpixelt. Von unseren Kunden hat sich aber noch keiner beschwert.
Und was ist mit denen, denen das Verpixeln wehtut? Aus Ihren Räumen ist ja des Öfteren lautes Gebrüll zu vernehmen …
Ach, das sind Perverse, die sich auch ihre Geschlechtsteile verpixeln lassen wollen. Wir arbeiten mit einer Mischung aus Gammastrahlen und Mitteln einer visuellen Verknotung und Chiffrierung körperlicher Merkmale. Die meisten Kunden, die sich dieser Behandlung unterziehen, haben großen Spaß daran, und viele sind wiedergekommen, um sich am ganzen Körper verpixeln zu lassen.
Regt sich dagegen auch Widerstand?
Wieso denn? Nein. Nicht, dass ich wüsste. Im Gegenteil. Ich finde es ganz lustig, dass unsere Kunden inzwischen vom Volksmund liebevoll als "Pixies" bezeichnet werden.
Also, wir haben durchaus schon Beschwerden vernommen, vor allem von Diskothekenbesitzern in den großen Ballungszentren. Da wird vor allem darüber geklagt, dass die sogenannten Pixies im Bewusstsein ihrer Anonymität viel öfter randalierten als normale Gäste, und für die Polizei ist da ja auch nicht gerade schön, wenn sie Leute verhaftet, deren verpixelte Gesichter nachher auf der Wachstube gar nicht erkennbar sind …
Das ist nicht meine Sorge. Ich bin Geschäftsmann. Wenn ich dafür bezahlt werde, verpixele ich alles. Ich habe auch schon Wildschweine verpixelt.
Wie das?
Auf Anfrage eines Vereins radikaler Veganer. Das ist drei Jahre her, und zu meiner Überraschung haben die verpixelten Wildschweine im Neuruppiner Forst ihrerseits verpixelte Frischlinge geworfen. Im Pazifik habe ich auch schon einmal einen Blauwal verpixelt. Der war danach wie ausgewechselt! Und die weiblichen Wale haben ihn förmlich umzingelt, also die Wälinnen. Sagt man das eigentlich so? Wälinnen?
Schwer zu sagen. Aber würden Sie sich denn auch selbst verpixeln?
Nein, niemals. Ich möchte doch nicht herumlaufen wie das Duplikat eines Gemäldes von Piet Mondrian.
Wen würden Sie denn sonst noch gern verpixeln?
Den Kölner Dom, den Reichstag und sämtliche Gäste des Bundespresseballs 2012. Wäre es nicht herrlich, diesen Gesichtern niemals mehr wiederbegegnen zu müssen?
Allerdings. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg.
Den kann ich brauchen.
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