die wahrheit: Für Ehre und Orden
Karnevalistenflashmob: Am 11. 11. um 11.11 Uhr wird niedergekommen.
"Potztausend!", flucht Dr. Eduard Sassenbeck, 84, und wischt sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der fettigen Stirn. "Das wird kein Sonntagsspaziergang zum Ponyhof, seht das endlich ein! Wir ziehen in den Krieg! Es geht um unsere Ehre, und weiß Gott, ich würde noch persönlich in die Schlacht ziehen, wenn …" - "Wenn deine Alsche dich ließe", ertönt eine spöttische Stimme, dann eine andere: "Wenn du noch könntest!" Böses Hohngelächter ertönt, dann hört man ein Röcheln: "Meine Pumpe! Das macht meine Pumpe nicht mehr mit …"
Im Hauptquartier des Berliner Karnevalvereins "Die ollen Schlorren" ist die Stimmung wie elektrisch aufgeladen, es knistert und britzelt beinahe wie bei Hochspannung und die Nerven der versammelten Elferrats-Mitglieder sind bis zum Zerreißen gespannt. Dichte Rauchschwaden wabern durch den Raum und durch die erhitzten Gemüter hat sich an den wenigen Fenstern schlieriges Kondenswasser gebildet. Die Männer reden wild durcheinander, doch endlich ertönt eine Stimme, die lauter und durchdringender ist als die anderen. Es ist Stadtrat Karl-Heinz Krause, 79, der sie erhebt: "Kameraden, das kann zum größten und erhabensten Augenblick in der gesamten Geschichte unseres ehrenwerten Vereins werden, wir können siegen, ich weiß es. Doch wir müssen zusammenstehen, wir müssen an die Sache glauben, Defätismus wird mit dem Tode bestraft! Es geht um die Ehre des Vereins, um die Ehre unseres geliebten Präsidenten! Heijo! Heijo! Heijo!"
So oder ähnlich wie bei den "Ollen Schlorren" geht es derzeit in tausenden karnevalistischen Vereinsquartieren zu. Den Grund dazu lieferte vor Wochenfrist der Dachverband der deutschen Fastnachts- und Karnevalsvereine, Bund Deutscher Karneval e. V. (BDK), der in einem Rundschreiben an alle deutschen Regionalverbände zum größten Flashmob in der Geschichte aufgerufen hatte. Ziel der Aktion soll sein, am 11. 11. 2011, also pünktlich zu Beginn der nächsten Karnevalssaison, die deutschen Kreißsäle mit Narren- und Jeckenbabys zu überfluten und damit dem dramatischen Nachwuchsproblem der Prunksitzungsszene ein Ende zu bereiten. Der Präsident des erfolgreichsten Vereines soll als Auszeichnung einen besonders großen Orden in Form eines dicken Babys aus Pappmaché bekommen.
Da aber eben dieses Nachwuchsproblem bereits besteht und nur noch ein knapper Monat zur Vorbereitung der Vorbereitungen zum Flashmob bleiben, sind die verschiedenen Vorstände nun herausgefordert, nach kreativen Lösungen zu suchen. Auf Deutsch gesagt: Die Vereine brauchen schnell vermehrungswillige Mitglieder im vermehrungsfähigen Alter, die bereit sind, im kommenden Monat alles für den jeweiligen geliebten Präsidenten zu geben.
Da werden die verschiedensten Strategien entworfen. Der Kölner Verein "De juxige Muusplog" hat sich beispielsweise entschlossen, Zeit und Energie nicht auf die Rekrutierung neuer Mitglieder zu verschwenden, sondern auf das - wenn auch nur spärlich vorhandene - Potenzial in den eigenen Reihen zu setzen. So sollen geeignete Kandidaten beiderlei Geschlechts - wie es sich sogar für Karnevalisten von selbst versteht - den gesamten Februar in sogenannte Begingebützche-Camps verbracht werden, wo sie unter scharfer Beobachtung und strenger Aufsicht ihren verdammten Pflichten dem Verein gegenüber nachgehen müssen und besonders um die Monatsmitte die Saat setzen sollen, damit am 11. November die reiche Ernte eingefahren werden kann.
Bei den Stuttgarter "Luschdige Schdobbla" wird im Elferrat sehr kontrovers diskutiert, bezahlbare Kräfte aus Rumänien ins Ländle zu holen, die eine frische Brise in den recht verkalkten Verein bringen, um am 11. November so gemeinsam die Trophäe zu erringen. Diese Diskussion ist noch nicht abgeschlossen, es heißt aber, dass der Kassenwart der "Luschdige Schdobbla"- der schärfste Gegner dieser Lösung - seit Tagen verschwunden ist.
Bei den "Ollen Schlorren" ist zwar noch gar kein konkreter Lösungsansatz in Sichtweite, was die erhitzten Herren jedoch keineswegs davon abhält, bereits einen Schritt weiter zu gehen.
"Am 11. 11. 11 gebären, das kann jeder!", ruft Dr. Sassenbeck japsend und einem Erstickungsanfall nahe. "Wir aber werden die Welt sogar am 11. 11. 11 um Punkt 11.11 Uhr mit Schlorrenbabys überfluten, mit mindestens 1.111 guten, gesunden Schlorrenbabys!" Und auch Stadtrat Krause lässt sich mitreißen: "Um 11.11 Uhr wird niedergekommen! Für die Ehre des Vereins! Für die Ehre unseres Präsidenten!" Aus elf Kehlen ertönt ein donnerndes "Heijo! Heijo! Heijo!" Und dann ein klägliches Röcheln: "Meine Pumpe! Das macht meine Pumpe nicht mehr mit …"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Kurdische Gebiete unter Beschuss
Stoppt die Angriffe Erdoğans auf die Kurden in Syrien!