die wahrheit: Die Pointenprüfer
Zu Besuch bei den Witzinspektoren von Haßloch.
Während normale Konsumartikel vor ihrer Markteinführung im pfälzischen Ort Haßloch auf ihre Kundentauglichkeit geprüft werden, ging es in der Welt des Witzes bislang völlig chaotisch zu. Da konnte jeder, der einen auf Lager hatte, lospoltern und alles weitererzählen, ohne sich einer Qualitätskontrolle stellen zu müssen. "Das konnte so nicht weitergehen!", schüttelt Bernhard Hausmilch von der deutschen Mitlachzentrale den Kopf. Deshalb werden seit neuestem im Konsumparadies Haßloch auch Witze getestet.
Während wir durch die Straßen von Haßloch schlendern, lässt er die unerträgliche Witzkultur des Kalten Kriegs Revue passieren, "den Sud der frühen Jahre", wie er sich abfällig äußert: "Damals kamen ja die meisten Witze von drüben, waren Billigproduktionen vom VEB Lach + Schmunzel, für ein paar läppische D-Mark an den Westen verhökert. Der oberste Devisenbeschaffer hieß ja nicht umsonst Schalck-Golodkowski! Mit dem, was ihm selbst im Nacken saß, hat er sich ein Imperium zusammengekalauert!"
Gern würden wir mal einen Witz von damals hören, aber Hausmilch winkt ab: "Die fingen doch alle mit den gleichen Gags von der Stange an: ,Ein Russe, ein Chinese und ein Sachse sitzen am Strand …' Und am Schluss kriegte dann der Sachse die Pointe und die Lacher ab! Voll lächerlich, kann ich Ihnen sagen."
Wir wollen wissen, wie diese Witze jeweils rüberkamen. "In großen Zigarrenkisten, mit Wellpappe zwischen Witzvorlagen. Hier wurden sie dann von Inoffiziellen Mitarbeitern an die Bild-Zeitung oder die Bäckerblume geschickt, die dafür zehn oder zwanzig Mark einsteckten, die dann zurück in den Osten wanderten. Und niemand hat die Verbreitung solcher Machwerke stoppen können … oder vielleicht wollen?"
Hier legt Hausmilch einen konspirativen Blick auf: "Denken Sie nicht, dass das alles mit der Wende zu Ende gewesen wäre! Kaum war die Ostzone verschwunden, bekamen wir dieselben Witze aus China! Jedem Container aus Schanghai lagen die Plagiate quasi als blinde Passagiere bei! Sie haben noch nicht mal dem Chinesen die Pointe gegönnt! Der Sachse war witztechnisch nicht totzukriegen!"
Während der Humorkontrolleur sich noch ereifert, ist er vor einem unscheinbaren Gasthaus stehen geblieben. "Das ist Prüflokal Nummer 1", erklärt er kurz, "eigentlich müsste es jetzt voll von Testhörern sein …" Er hat sich nicht getäuscht. Alle Tische sind besetzt, und Hausmilchs Eintreten löst ein erwartungsfrohes Kichern aus. Der holt auch gleich einen versiegelten Briefumschlag hervor und verschafft sich räuspernd Gehör: "Ich lese jetzt den neuen Witz vor. Tun Sie sich wie immer keinen Lachzwang an. Bleiben Sie ganz natürlich!" Er faltet den Zettel auf und liest mit gehobener Stimme: "Zwei alte Schulfreundinnen treffen sich nach Jahren wieder. Fragt die eine: ,Und was ist mit deinen Kindern?' Sagt die andere: ,Die sollten es mal besser haben als ich …' Da hakt die erste nach: ,Und wie viel Kinder hast du?' Antwortet die andere: ,Halt keine.'"
Totenstille im Lokal. Ein älterer Herr ruft: "Weiter! Die Pointe!" Hausmilch schaut auf sein Blatt und muss seine Zuhörer enttäuschen: "Hier steht nichts mehr. Das wars wohl schon." Sein prüfender Blick zum Phonometer über der Theke bestätigt den Höreindruck: null Ausschlag, dieser Witz ist offenkundig durchgefallen. Ein dicker Strich durch Hausmilchs Liste besiegelt dessen frühes Ende. "Den haben jetzt nur Sie und diese Leute hier gehört. Der wird niemals unter die Leute kommen. Der kommt jetzt in unseren Giftschrank, ins Endlager für unsägliche Scherze und Stimmungskiller."
Danach will Hausmilch eigentlich das Lokal verlassen, unternimmt auf unsere Bitte hin aber noch einen zweiten Versuch: "Herhören, Leute!", ruft er die mittlerweile Lärmenden zur Ordnung. "Einen hab ich noch! Kommt ein Russe, ein Chinese und ein …" Das nächste Wort kann er schon gar nicht mehr zu Ende bringen. Brüllend haben ihn die Rezipienten übertönt und unisono "SACHSE!" skandiert. Schenkelklopfend steigen die meisten auf die Tische und grölen sich schier weg. An eine Fortsetzung des Witzes ist nicht mehr zu denken, denn die Nadel des Phonometers zittert schon voll am Anschlag. Hausmilch trägt die Daten in seine Liste ein und stellt zufrieden fest: "Diese Dinger kriegst du einfach nicht aus ihren Köpfen. Die stellen sich praktisch von selbst ins Sortiment!"
Als wir das Lokal verlassen, kommt uns in der Tür ein neuer Gast entgegen. "Entschuldichense! Gonn man hiarn Gännschen Kaffe drinken? Isch bin von Sachsen, müssensewissn!" Bernhard Hausmilch nickt ihm aufmunternd zu: "Hier sind Sie völlig richtig! Nur zu!"
In der Fußgängerzone von Haßloch steht zufällig ein Kosake neben einem kleinen Chinesen und teufelt auf Russisch auf ihn ein. Da können sogar wir ein leichtes Hüsteln nicht mehr unterdrücken.
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