die wahrheit: Sorge um Durs Grünbein

Kolumne "Im Jahr des Hasen": Auf meiner aktuellen Deutschlandtour stellt mir das Publikum am Ende einer Lesung fast immer wieder dieselben Fragen...

...Wann genau wird China zusammenbrechen? Wie stehen Sie zu den Massenerschießungen in Fußballstadien? Und wo ist eigentlich dieser neulich verhaftete Ai Weiwei?

Selbstverständlich versuche ich, nach bestem Wissen zu antworten. Bei den Massenerschießungen ist das kein Problem. Hier zitiere ich gern den Direktor der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Dui Hua Foundation, John Kamm, der im vergangenen Jahr in der Washington Post nicht nur betonte, dass öffentliche Hinrichtungen in China schon seit längerer Zeit nicht mehr gestattet sind, sondern auch darauf hinwies, dass sich die Zahl der Todesurteile in den letzten zehn Jahren halbiert hat. Kamm fasste damals zusammen: "Was die Einhaltung der Menschenrechte angeht, hinkt China im internationalen Vergleich noch hinterher. Bei der Reduzierung der Hinrichtungen aber wurden wichtige Fortschritte gemacht."

Ich würde es begrüßen, wenn man solche sachlichen Informationen auch verstärkt in der deutschen Presse läse. Wahrscheinlich würde das auch die Diskussion nach meinen Lesungen verbessern. Doch in Deutschland reagiert man auf die Menschenrechtslage in China am liebsten mit Pathos und Geknatter. Keine Ausnahme macht dabei der Staatsdichter Durs Grünbein. Auch der fragte in der FAZ: "Wo ist Ai Weiwei"? Das ist zunächst einmal eine berechtigte Frage, schließlich schreiben selbst die chinesischen Gesetze vor, dass die Angehörigen eines Festgenommenen ein Recht auf Aufklärung über dessen Verbleib haben.

Doch Grünbein begnügt sich nicht mit seinem Auskunftsbegehren. Er bläst sich selbst zum wagemutigen Kämpfer gegen die chinesische Regierung auf, indem er seinen, mit Kafka-Zitaten aufgepimpten Text so beginnt: "Leg dich nicht mit China an, warnen Freunde. Ich lege mich nicht mit China an, Gott bewahre …" Am Ende aber traut sich Grünbein doch: "Ich bin ganz unbedacht, ich frage nur: Wo ist Ai Weiwei?" Ich aber frage: Welche Bestrafungsmaßnahmen fürchtet Grünbein jetzt von der chinesischen Regierung? Dass sie ihm das Essen im China-Restaurant vergiftet? Dass sie Hacker auf ihn ansetzt, die ihm die letzten Metaphern von der Festplatte klauben? Oder dass ihm chinesische Agenten heimlich sein großes Bundesverdienstkreuz gegen einen kleinen Plastikorden austauschen? Ich habe keinen Schimmer.

Ich vermute, dass Grünbein und alle anderen, die nach Ai Weiwei gefragt haben, in nächster Zeit eine Antwort erhalten werden. Es kann allerdings gut sein, dass dies erst dann passiert, wenn Ai wieder vergessen ist, weil sich die deutschen Feuilletons über ein neues Thema ereifern müssen. Vielleicht könnte man sich dann der Frage widmen: Wie geht es eigentlich Durs Grünbein? Ist bei ihm noch alles in Ordnung? Oder platzt dieses lyrische Super-Ich demnächst vor - auf Kosten Dritter betriebenem - Gespreize, vor Affektiertheit und Bedeutungshuberei?

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kari

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