piwik no script img

die wahrheitDas Allerneueste vom Frankfurter Allgemeinen Küchenmoses

Seit einigen Jahren beliefert der Küchenmoses Jürgen Dollase die FAZ jeden Samstag mit einer Kolumne über Essen und Kochen. Zum Moses erklärte er sich einst selbst...

...durch die Verkündigung von zehn Küchengesetzen. An diese hält er sich unerbittlich und predigt deshalb unentwegt den Vorzug des Regionalen und Banalen vor dem Raffinierten und Teuren, das er mit nationalem Ressentiment dem "Pariser Materialismus" zuordnet.

Für den deutschen Hausvater-Idealismus gedeiht das Gute vor der Haustür. Bei Blutwurst etwa geht es nicht mehr um Geschmack, sondern gleich um deren "Noblesse" wie bei Schweinebauch um dessen "Delikatesse". Drunter macht es Küchenmoses nur ungern. Deshalb adelt er auch die ordinärste Kohlsorte - den Rosenkohl - und kalauert, der sei eben "eher Rose als Kohl". Und mit Liebstöckel, vulgo Maggikraut, kommt nicht etwa Penetrantes auf den Teller, sondern der "Geschmacksdramaturg" (früher Koch) "installiert Bodenständigkeit" mit "assoziativer Ladung" und "ohne Identititätsverlust". Mit dem Stallgeruch in der Nase isst man nicht mehr, sondern "addiert sich ein großes Bild zusammen".

Spätestens in solchen Momenten weiß der Leser, wo er sich befindet. Nicht im Restaurant, sondern im Oberseminar der "strukturalistischen Küche", und da haben Speisen nicht Geschmack, Festigkeit, Farbe und Aromen, sondern "Nachhaltigkeit", "Informationsdichte" und "zeitliche Durchblendungen". Wer aber jetzt fragt, ob Moses noch alle Pfannen auf dem Herd hat, dem wird beschieden, er verwechsle mal wieder "Kreisklasse mit Bundesliga, Schlager mit Symphonie".

Moses konstatiert die Herrschaft des "kulinarischen Populismus" in den Fernsehkochshows und ordnet diesen Betrieb forsch "politisch liberal bis links" ein. Aus "der Konfusion der Werte und Begriffe" der "Scheinaufklärer, Geschäftemacher und Trittbrettfahrer" helfe nur eine "Revolution", und die komme aus Dänemark.

Diese "fundamental andere Küche" ziele "über das reine Essen hinaus" auf einen "neuen Zusammenhang von Umwelt, Essen und der komplexen Beziehung des Menschen dazu". Der revolutionäre Dänenfraß entspringt jener nordischen Tiefe, in der Wasser zu Eis "gebacken" wird: "Serviert wird ein Teller mit einigen in Eis festgebackenen Kieselsteinen und rohen Garnelenschwänzen, die sich ebenfalls teilweise noch vom Eis lösen müssen." Dazu gibt es Kräuteröl, seltene Kräuter und Seeigelpulver. "Der Teller sieht aus wie ein Stück eisige Küste an einem nordischen Meer. Es ist alles da: ein Hauch von einer Primärerfahrung, dabei aber kulinarisch bestechend prägnant und subtil." Nach dem Zerbeißen knackiger Kieselsteine klingelt auf jeden Fall schon mal die Kasse - bei den Zahnärzten.

Zur dänischen Revolution in der Küche komme "das Interaktive" auf dem Teller: "lebend servierte und lebend zu essende, komplette Krabben, gefüllte und essbare Blumen". Der Frankfurter Allgemeine Vorkoster will allen Ernstes "Blumen" verputzen. Also die Tischdekoration, die kann er gern allein essen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

5 Kommentare

 / 
  • B
    banalrepublik

    ....warum nicht KüchenMohamed?

  • SN
    Satyr - Nachtrag

    @ Rudolf Walther

    Bei meinem letzten Satz ist mir das Wichtigste verloren

    gegangen, nämlich mein Brechreiz.

     

    Es sollte heißen: ‚Sein delikat komponierter Sprachbrei

    verursacht bei mir Brechreiz spontan an Gaumen und

    Zunge.

  • S
    Satyr

    @ Rudolf Walther

     

    Während ich mir Ihren Beitrag genüsslich zu Gemüte

    führe, komme ich mehr und mehr zu der Überzeugung,

    dass diese samstägliche Dollnase nicht nur Küchenmoses

    ist, sondern auch der Abraham der zu Papier gebrachten Geschmacksverirrungen.

    Sein delikat komponierter Sprachbrei verursacht bei mir

    spontan an Gaumen und Zunge.

  • HC
    Hugo Cuisine

    In meiner Zeit diverser Wohngemeinschaften hat sich mir das Mysterium des Kochens erschlossen: aus den paar vorhandenen Zutaten die zusammenpassendsten auswählen, waschen, schälen, schnippeln nach Bedarf, rein in Kochtopf bis gar, abschmecken, spachteln was geht und gut ist. Und dann ein Bier drauf, damit`s unten bleibt. Und aber doch bekömmlicher als der Lebendkrabben und Garnelen-Rumba, weil`s ohne Abdecksteine unten bleibt.

  • AC
    André Cis

    fürchterlich, Herr Walther... insbesondere das mit der Tischdeko hat mich zu tiefst berührt!