die wahrheit: Kochen nennen sie das
Die Island-Woche der wahrheit: Nach Finanzkrise und Vulkanausbruch kommen endlich wieder erfreuliche Nachrichten aus dem Hellas des Nordens ...
N ach Finanzkrise und Vulkanausbruch kommen endlich wieder erfreuliche Nachrichten aus dem Hellas des Nordens - und zwar aus der Küche. Das einzige, was die Isländer über Monate lang im Bauch hatten, war Wut. Allmählich aber ist Land in Sicht, wenngleich sich die Isländer über Jahre hinaus werden einschränken müssen - das fängt beim Speisezettel an, oft muss man ihn als Sättigungsbeilage mitessen. Als Vorspeise gibt es kleine Fische und Carpaccio von der Kirchenmaus. Dazu reicht man kleine Brötchen.
Die isländische Küche war ohnehin über Jahrhunderte hinweg nichts anderes als Mangelverwaltung: karg, aber stark. Keiner kann das Grundprinzip so gut erklären wie Wikipedia: "Die wichtigste Zubereitungsart ist das Kochen." Das ist fein beobachtet. Wobei das selbstverständlich auch umgekehrt gilt: "Die wichtigste Kochart ist die Zubereitung." Das Kochen von Vögeln beispielsweise ist eine isländische Spezialität, anders herum funktioniert das eher nicht. Vor allem Seevögel wie Trottellumme, Tordalken und Gryllteisten kommen zum Einsatz, wobei Erstere, also Trottellummen, lange Zeit nicht nur ornithologisch unterwegs waren, sondern auch im Bankenwesen, und bei Letzteren, den Gryllteisten, der Grill im Preis leider nicht enthalten ist. Singvögel sind nicht mehr beliebt, mal abgesehen von Björk, und selbst die nicht: Die fetten Stare sind vorbei.
Die Isländer haben keine Kohle mehr, aber immerhin gibt es Geysire, in die man die Nudeln kurzerhand hineinwerfen kann. Moos - auf Isländisch "Gestryppere" - ist trotz internationaler Verflechtungen ausreichend vorhanden. Allerdings sind die Portionen so klein, dass man sie getrost der Molekularküche zurechnen darf, kann und muss.
Die beliebte Fernsehköchin Sigurda Graubrotsdóttir kann häufig bloß ausgefallene Gerichte präsentieren, also im wahrsten Sinne. Auf dem freien Markt findet man lediglich Walfleisch zweiter Wahl, alles andere endet im Export. Die beliebten Ponyburger kommen höchstens an Feiertagen auf den Tisch. Immerhin gibt es seit zwei Jahrzehnten geothermal beheizte Gewächshäuser, so dass der Isländer nicht mehr auf Gedeih und Verderb auf den Import angewiesen ist. Über Jahrhunderte hinweg gab es weder Getreide noch Gemüse, weshalb das beliebteste Hobby der Isländer Skorbut war. In jenen dunklen Jahrhunderten musste man sich behelfen mit Räuchern, Pökeln und milchsauer Einlegen, was auch recht anschaulich die Situation nach dem Finanz-Crash beschreibt: Man hat die Verantwortlichen ausgeräuchert, gepökelt und milchsauer eingelegt.
Hinzu kommt, die See ist überfischt, die Harnsteinmakrele zum Beispiel ist vollständig verschwunden. Aber Isländer haben sich immer zu helfen gewusst. Die Gerichte werden halt kleiner - bis auf die, vor denen die Banker irgendwann erscheinen müssen. Mittlerweile können isländische Köche Saucen so reduzieren, dass sie mit bloßem Auge kaum mehr zu sehen sind. Und notfalls lässt man über alles leckere Dünengräser wachsen. Damit der Isländer wieder sagen kann: "Smakken Appetittùr!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!