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die wahrheitDeutliche Worte

Kolumne
von Jan Ullrich

"Frauen-Flohmarkt im Kommunikationszentrum! Eintritt ein Stück Torte!" Die Eingangsworte aus Tolstois "Krieg und Frieden" machen eins deutlich: Sprache ist ein Zeichensystem ...

Frauen-Flohmarkt im Kommunikationszentrum! Eintritt ein Stück Torte!" Die Eingangsworte aus Tolstois "Krieg und Frieden" machen eins deutlich: Sprache ist ein Zeichensystem, mit dem man auch ein russisches Kuchenbuffet beschreiben kann, Kommunikation kann auch bei Frauen nur in der Begegnung entstehen, Torten gibt es an vielen Orten.

Nach Meinung von führenden Linguisten, Schreitherapeuten und Herstellern von Resonanzböden besteht Sprache hauptsächlich aus Wörtern, die in ihrer Bedeutung oft verschieden sind. Als Beispiele sollen hier die Begriffe Nasszelle und Trockendock, Trennschärfe und Weichzeichner, Wanderstab und Wundertüte, Tuba und Kröte, Giraffe und Begriffe, Handleuchter und Kerzenständer sowie Frühjahrsmüdigkeit und Tollwut dienen.

Wertet man Tolstois Roman systematisch aus, so finden sich dort außer "Krieg und Frieden" vor allem folgende Wortpaare wieder: Landadel und Drangsal (14 Nennungen), Basilika und Basilikum (19), Erbsen und Möhren (72), Este und Elke (23), Knall und Fall (14), Schuld und Sühne (3), Renate und Beate (51), Bremen und Nahtoderlebnis (45) sowie das formelhaft wiederholte: "Starkbier und Weichkäse, Weichkäse und Schrankwand, Schrankwand und Landgang, Landgang und Wirbeltier, Wirbeltier und Starkbier: Das Meer schmeckt so salzig, dass es schon wieder süß schmeckt." (53)

Aber Sprache hat auch ihre Ecken und Kanten: Konsonantenausfall ist ein typisches Stresssymptom, Konsonantenhäufung Ausdruck von Weltekel, ein Selbstgespräch ist einem überraschungsfreien Dialog vielfach vorzuziehen. Das Schweigen der Lärmer macht das Leben reicher, nicht ärmer.

"Meine beiden Hoden sind drei Zahnbürstenköpfe", sagen wir oft, ohne darüber nachzudenken, was diese Worte überhaupt bedeuten. "Rom wurde nicht an einem Montag erbaut", "Ich lüge, also bin ich", "Du sollst den Krug zerschlagen, dann musst du ihn nicht zum Brunnen tragen", diese Weisheiten zeigen, dass in der Sprache die Fiktion der Wirklichkeit immer der Illusion von Realität entsprechen muss. Nach dem Universum ist eben vor dem Universum.

Angefrorene Ohren und fehlendes Fingerspitzengefühl, die Anmut der Greise und die Armut der Kreise, die Schule des Lebens und die Abfolge schmachvoller Erfahrungen - wer den Ausdruckstanz kennt, weiß: Die Sprache des Körpers offenbart sich erst in der Verrenkung, auch wenn seine Aussage oft unklar bleibt. Auch sollte die Musik nicht zu verstehen sein. Eher ein Geräusch. Aber kein Rauschen. Dann ist alles klar und deutlich.

"Ich bin ein Komma und leite einen Nebensatz ein. Natürlich ist es meine Aufgabe, trotzdem wäre ich gern ein Semikolon", klagen Menschen, die ihre Adoleszenzphase zum Beruf gemacht haben und nicht zwischen Satzreihe und Satzgefüge unterscheiden können. "Den Hut in den Ring werfen" oder "Den Ring in den Hut werfen" sind zwei Paar Schuhe mit derselben Sohle - ohne eingefügtes Satzzeichen. Nur der Morgen sendet das stille Licht der Erde.

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1 Kommentar

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  • EL
    Edgar Lösel

    Ich bin Jan Ulrich für seine Auslassungen dankbar, denn Schilder sagen mehr als Torte! Wer aber im Blindflug schreibt, dem kommt die Eule der Minerva vielleicht sogar entgegen! Und dann ist eine Tütensuppe nicht mehr das Fanal einer eigentlichkeit, die in ihrer Löslichkeit dem Bestehen entgeht.Aber dann ist es das Sein, dass sich zu entschuldigen hat!