die wahrheit: Ewiger Rosenmontag
Neues aus Neuseeland: Gestern, liebe Verkaterte, war innerdeutscher Schunkelstopp: Am Aschermittwoch ist alles vorbei.
G estern, liebe Verkaterte, war innerdeutscher Schunkelstopp: Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Pappnasen absetzen, Perücken einmotten, ein Jahr Ruhe. Für den Neuseeländer ist gar nichts vorbei. Es herrscht immerwährender Karneval, wohin ich auch gehe. Oder fliege. Ich habe jetzt vorsichtshalber Konfetti im Handgepäck.
Als ich letztens nach Queenstown musste, saß mir am Flughafen eine Art Herzbub gegenüber: keckes Hütchen, rot glitzernde Hotpants und enge Weste über nackter Brust. In anderen Städten hätte man auf einen Besucher des Christopher Street Days tippen können, aber nicht so in Christchurch. Der junge Mann feierte seinen Junggesellenabschied. Für die Stewardessen reine Routine. Kurz nach dem Start wurde der Fastverheiratete durch die Gangway geschickt und durfte Bonbons verteilen. Alle klatschten, der Countdown zum Traualtar hatte begonnen.
Ich war bereits initiiert, was solche Aufzüge angeht, saß ich doch erst wenige Wochen zuvor auf dem gleichen Flug, selber ein jeckes Käppi auf dem Kopf und Sekt im Bauch. Ich war Teil einer "Hens Party", die den Ferienort Queenstown unsicher machen wollte. Der erste Akt der Junggesellinnenparty sah vor, dass wir alle mit bunter Kopfbedeckung reisen. "Ach, die ,mad hatters' ", begrüßte uns das Bodenpersonal, das damit offenbar Erfahrung hat und das alles nicht halb so peinlich fand wie ich.
Damit war der Kostümzwang noch lange nicht vorbei. Die angehende Braut wurde von der Hühnerschar hinterrücks zum Bungy-Sprung genötigt. Was musste sie vorher als Verkleidung anziehen? Ein altes Hochzeitskleid, für ein paar Dollar im Internet ersteigert. Wie ein Engel flatterte sie weiß umflort durch die Luft, während wir Hühner uns wieder zuprosteten. Mit Verkleidung wird einfach alles schöner, auch ein Ausflug in die Abgründe der vorehelichen Riten. Eine Erfahrung eher ethnologischer Natur.
Vor ein paar Wochen flog ich nach Wellington. In der Hauptstadt liefen die "Sevens", eine Mischung aus Fasching und Rugby. Die verkleideten Horden im Flugzeug waren nur der Vorgeschmack. Was auf den Straßen an mir vorbeiströmte, war Rosenmontag in Reinkultur - Dirndl, Clowns, Scheiche, Sträflinge. Am Courtenay Place, der Ausgehmeile der Innenstadt, stand ein Schrein. Leere Schnapsflaschen, Blumen in Marmeladengläsern, handgeschriebene Gedichte, Kerzen und sentimentale Sprüche huldigten dem Mann, der hier tagein, tagaus elf Jahre lang in minimalistischer Verkleidung gesessen hatte. "Blanket Man" war tot.
Der berühmteste Obdachlose Neuseelands hieß so, weil er sommers wie winters nur mit einer Decke und einem Lendenschurz bekleidet war. Jede Nachteule kannte ihn. Ben Hana war Anbeter eines Maori-Sonnengottes, Alkoholiker und Asphalt-Ikone - von vielen verachtet, von einigen verehrt und so prominent, dass Lieder über ihn geschrieben wurden. Vor drei Jahren stand er vor Gericht und kam auf Kaution frei mit einer Auflage: Er müsse in der Öffentlichkeit Unterhosen tragen. Rest in peace. Alaaf forever.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt