die stimme der kritik: Wider die Maulkorb-Tristesse
Schafft viele bunte Hundeschnauzen!
Sobald in Deutschland ein Mensch aufgefordert wird, seine Schnauze zu halten, heißt es sofort, unter Tränenbächen, man habe ihm einen Maulkorb verpasst. Hier zu Lande wimmelt es vor verpassten Maulkörben. Umso erfreulicher das gegenwärtige Bild auf unseren Straßen. Nach Jahren ausschließlich virtueller Maulkörbe ist endlich die krachlederne Realität eingezogen. Der deutsche Bürgersteig ist – Oberkante Unterlippe – proppenvoll mit echten martialischen Maulkörben. In der Punkerkneipe, bei Karstadt, an der Uni: Der Maulkorb ist ubiquitär. Und mittendrin im Lederkorsett: die feucht-kalte Hundeschnauze.
Was uns daran nicht gefällt, ist, sagen wir es freundlich, das trostlose Design. Die meisten Hunde tragen Trauer: schwarz! Dies mag zwar dem Anlass angemessen erscheinen, erzeugt aber eine gewisse Depression. Wer geht schon jeden Tag zur Beerdigung? Auch die naturbelassene Lederware vermag mit ihrem erdfarbenen Ockerton nicht voll zu überzeugen. Außerdem müssen wir eine erschreckende Einfalt in der Formgebung registrieren. Das derzeit in Berlin verkaufte Standardmodell sieht aus wie eine schwarze Eistüte, in deren Innerem der Hund gierig nach dem letzten Tröpfchen Pistazieneis schlürft.
Wir erklären im Einklang mit der deutschen Hundeliga: Auch die Kreatur hat ein Recht auf ästhetische Minimalia. Wir verlangen Farbe, Form, Vielfalt. Ein keckes Pink für den Dobermann-Rüden, etwas vasarelysche Pop-Art für die bullige Rottweilerin, und warum nicht das schwarz-rot-goldene Clown-Näschen für die Deutsche Dogge. Ob gestreift, geblümt, kariert – vieles ist möglich, wenn die Bedürfnisse des Hundes ernst genommen werden. Die Riemchen könnten zu lustigen Jugendstil-Mustern geflochten und mit allerlei Zierrat versehen werden: Brillis, lustige Glöckchen, Clips und Creolen.
In jedem Fall: Der modebewusste Maulkorb schafft Arbeitsplätze in der Lederindustrie und könnte selbst dem ewig kränkelnden Dax neue Impulse geben. Und weil heutzutage Irland-Korrespondenten, Tankwarte und Logopädinnen einen schon morgens um fünf nervös nach Aktientipps fragen. Hier ist einer: Leder-Wolf, Deutschlands größer Hersteller von Hundeschnauzen-Tragekomfort. Nach vorsichtigen Analystenschätzungen wird die Cashflowrenditendividende die Widerstandslinie bei 99,5 Euro schon übermorgen knacken. Ganz ehrlich!
MANFRED KRIENER
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen