die stimme der kritik: betr.: Steigerungen
daum – daumer – am daumsten
Immer noch ist man erschüttert von der so genannten Daum-Affäre, angewidert von den völlig verkommenen Protagonisten Hoeneß, Beckenbauer und so weiter, entsetzt über die Feigheit der Denunzianten, die erst petzen, wenn sie sicher sind, dass sich der Verpetzte nicht mehr wehren kann, genervt davon, dass die Geschichte wichtigen Speicherplatz im Kopf belegt. Man ist fasziniert, kauft sich jeden Tag mit grimmiger Wut die Bild-Zeitung, weil man zu blöd ist, sie sich zu klauen, findet das eigene Interesse obszön, hängt sich alle Daum-Titel an die Wand und sehnt sich nach Wallraff.
Fünfmal hintereinander hat es Daum bislang auf den Titel von B.Z. und Bild geschafft, keins der Bilder ist aktuell. Nebeneinander gehängt ergeben die Aufnahmen einen Fotoroman. Das Missverhältnis zwischen den so genannten Verfehlungen des Helden und der Berichterstattung könnte größer nicht sein. Die Enthüllungen haben nichts Glamouröses oder „Bizarres“; sie erfüllen nur die trivialsten Spießerfantasien – in Sachen Daum – und reanimieren die wildesten Gewaltfantasien in Sachen Springerpresse. Unglaublich, dass Bild-Redakteure an Journalismusschulen Kurse abhalten dürfen! Von unseren Steuergeldern!
„Christoph Daum ist immer noch ein Mensch“, weiß die BamS, die den „Menschen“ nur noch als lächerliche Comicfigur präsentiert, und dies alles ist wie eine Mischung aus „Big Brother“, Clinton-Lewinsky, Stasi, Egon Krenz, Mielke, diversen Blockwartereien und Katharina Blum. Leider ist Hoeneß nicht Mielke und Beckenbauer nicht Egon Krenz und 89 leider auch schon vorbei. Christoph Daum ist auch nur teilweise Lady Di oder Bill Clinton. Ob Rudi Völler resp. „Rudi Riese“ (Bild) als Mutter Teresa reüssieren wird, ist zweifelhaft. Weil alles so witzig ist, ist Daum bei Harald Schmidt längst Liebling des Monats, Stefan Raab unterzog sich lachend einer Haaranalyse, und Daum wird auf dem Titel der nächsten Titanic zu sehen sein.
Eine Freundin aus München meinte, sie würde Hoeneß so sehr hassen, dass sie sich weigere, auch nur eine Sekunde über ihn nachzudenken. Das ist wohl das Vernünftigste. Man selbst denkt dagegen an die romantischen Blumenbilder des amateurmalernden Fußballtrainers, sehnt sich nach dem Zusammenbruch des DFB=DDR, träumt von Christophs zerhackten Haaren, die in der Nase kitzeln, und piekst die kleine Hoeneßpuppe jeden Tag mit rostigen Nadeln.
DETLEF KUHLBRODT
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