die sache ist: Herbie, der Käfer, wurde nicht gefragt
Rekonstruktion und Zerstörung des Kraft-durch-Freude-Wagens liegen dicht beieinander
Historische Realität wiederherzustellen ist zwar unmöglich, aber nicht sinnlos. Was nicht bedeutet, dass der Sinn begrüßenswert oder intendiert wäre. Zum Beispiel hat die volkswagenbegeisterte Familie Grundmann aus Hessisch Oldendorf in Niedersachsen auf dem Original-Zentralrohrrahmen eines Prototyps der W30-Serie von 1937 das gesamte Fahrzeug in siebenjähriger, auf akribische Recherche gestützter Arbeit rekonstruiert. Ein Sachverständiger des TÜV Nord hat das Auto für fahrtüchtig befunden: schön.
Dass aber der Überwachungsverein in einer Pressemitteilung dazu verkündet, es handele sich um den „ältesten Käfer der Welt“, ist nicht nur insektenkundlich falsch – der älteste Käfer der Welt wurde in Polen in versteinerter Dino-Scheiße entdeckt –, sondern auch fahrzeughistorisch ein grober Anachronismus: Das Auto war damals noch kein Käfer. Während die freie Welt den Spottnamen ab 1938 nutzt, nennt der Konzern es erst ab 1968 so. Bis dahin heißt es „Typ 1“, und zuvor, bis 1945, ist es der „Kraft-durch-Freude-Wagen“.
Das verschleiert die Fehlbenennung. Und indem der TÜV dessen Rekonstruktion nicht als Nachbau, sondern als „Fahrzeug aus dem Jahr 1937“ bezeichnet, bedient er fahrlässig den dem Kfz eingeschriebenen Durchhaltemythos: Den hatte Werbekünstler Charles Wilp dem Auto 1962 abgelauscht und in den Reklamespruch „Er läuft und läuft und läuft“ gegossen, der bis heute auf Deutsch als Redewendung funktioniert. Ein guter Spruch, der leicht zu übersetzen gewesen wäre. Aber in den USA hat man lieber verzichtet auf die darin mitschwingende Botschaft von der Unaufhaltsamkeit und Unverwüstlichkeit eines anhand von Entwürfen tschechischer und ungarischer Nazi-Entwickler produzierten kerndeutschen Markenfabrikats.
Stattdessen bestand dort der Nachkriegsslogan der Karre in der Aufforderung, klein zu denken, „Think small“ – und diente ganz bewusst dazu, sich vom Größenwahn des NS-Regimes abzuheben, das sie hervorgebracht hatte. Noch weiter geht der Disney-Konzern, der für seine sieben Käfer-Herbie-Spielfilme einen eigenen Mythos erfindet, laut dem der deutsche Dissident Dr. Stumpfel das Wunderauto konstruiert hat – für die Amerikaner.
Wer sich das in Erinnerung ruft, der kommt in die richtige Stimmung für ein Happening, das am Freitag 170 Kilometer nordwestlich von Hessisch Oldendorf – in Bremen nämlich – stattfindet. „Die Verwandlung“ heißt die Produktion von Manuel Gerst. Uraufführung war im Juni 2024 in Köln, seither ist sie auf Tour. Den Inhalt kurz umreißen heißt also nichts verraten: Die Produktion knüpft an Franz Kafka an, aber doch sehr sporadisch, nämlich nur, indem sie als das „ungeheuere Ungeziefer“ der Erzählung einen VW Typ 1 auf die Bühne stellt. Dann wird das Publikum aufgefordert, Spaß zu haben. Dafür bereitgestellt sind Vorschlaghämmer, Stemmeisen, Äxte und Schutzbrillen.
„Die Verwandlung“ – Happening: Fr, 19. 9., 20 Uhr, Bremen, Schwankhalle
Das klingt platt. Und ist doch interessant, weil sich zuverlässig der Impuls der Samsa-Schwester durchsetzt, dass „es“ eben wegmüsse. Überall hat das Setting eine Taumel der Verwüstung ausgelöst. Welcher Hass genau kanalisiert sich in ihm? Gegen Volkswagen? Gegen Verbrennermotoren? Gegen den Bruder? Mindestens im Stuttgarter Theater Rampe kannte die Zerstörungswut auch keine Rücksicht auf jene, die den Protagonisten – den alten Mist-Käfer, der angeblich mal Gregor war – mit ihrem Körper hatten schützen wollen. Benno Schirrmeister
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