die raf, ein süßer, gemütlicher grusel:
von WIGLAF DROSTE
„Gibt es eine neue RAF?“, fragt der Spiegel hoffnungsvoll, Bild am Sonntag nimmt den Ball auf und frohlockt: „Es gibt eine neue RAF!“ Geradezu erleichtert klingt das: Endlich gibt es sie wieder, die rote Gefahr. Just zum Start des Dokumentarfilms „Black Box BRD“ kommt die Meldung in die Welt, obwohl sie gar keine ist. Für die begehrlich behauptete Existenz einer „neuen RAF-Kommando-Ebene“ gibt es keinen Beweis; der „neue Terrortrupp“ entspringt dem Wunschdenken von Geheimdienstlern, die unter beruflichen Legitimationsdruck geraten sind: Warum soll man sich eine teure Hochsicherheitsabteilung leisten, wenn man sie nicht braucht? Da wird die RAF schon aus ganz privater Existenzangst verzweifelt gesucht, und was man nicht findet, das kann man erfinden.
Fest steht nur, dass zwei RAF-Leute 1999 in Duisburg einen Geldtransporter überfielen und knapp eine Million Mark mitnahmen. Das Leben in Deutschland ist nicht billig; wer untergetaucht ist und zur Fahndung ausgeschrieben, organisiert seinen Alltag illegal und hat entsprechend höhere Fixkosten, die sich nicht so leicht abschmelzen lassen. Man kann sich als alter RAFler ja nicht einfach einen dieser tollen Jobs suchen, und man kann auch nicht sagen, „Komm, das war’s, wir gehen nach Hause“, denn da warten Knast oder Tod. Terrorist ist kein Beruf mit Zukunftsperspektive, das haben viele damals nicht rechtzeitig bedacht. So gibt es im Land ein paar geisterhafte Existenzen mehr, Zwangspensionäre, die in ihrem Kernberuf als Terrorist nicht mehr tätig sind, die aber weder umschulen noch sich aufs Altenteil setzen können. Der Staat braucht diese Frührentner von der RAF, um weiter aufrüsten zu können. Ohne das Gespinst des linksradikalen Terroristen kommt der deutsche Staat einfach nicht aus.
Die RAF, die RAF: Welch süßer, gemütlicher Grusel geht aus von diesen Buchstaben. Man braucht sich gar nicht umzustellen, man kann einfach weiter gratis hassen, auch wenn das Gehasste als solches nicht mehr existiert. Man kann sich so schön positionieren mit diesem Hass, kann durch die Blume dieses Hasses sagen: „Hey Staat, ich find’ dich dufte, du bist okay.“ Publizisten ziehen größten Nutzen aus diesem für sie selbst hoch kommoden und für alle anderen sehr langweiligen Ekel. Michael Rutschky, der die Premiere von „Black Box BRD“ besuchte, übt sich am 26. Mai in der Frankfurter Rundschau in der Kunst des Bausch- und Bogenschießens: „Der Lauf der Zeit hat das ehemals linksradikale Engagement des jungen Menschen für soziale Gerechtigkeit als Ressentiment von Spießern herausprozessiert, die vorwurfsvoll meinen, das Leben sei ihnen etwas schuldig geblieben (und habe es der Deutschen Bank geschenkt).“ So sehr das in vielen einzelnen Fällen stimmt – aufs Ganze gesehen ist es seinerseits prall gefettetes Ressentiment.
Die RAF ist tot, doch der Kadaver wird noch gebraucht, als Stützstrumpf vieler Existenzen. Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und der aufgeplusterter Essayismus, sie alle hängen gierig an ihrer alten Muse RAF, die auch als Leiche noch Gewinn abwirft.
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