die ortsbegehung: Mit den Wolken
Flugzeuge üben eine eigenartige Faszination auf Menschen aus, kein Flugplatz ohne Plainspotter. Auch im niedersächsischen Scharnhorst ist das so
Aus Scharnhorst Ilka Kreutzträger
Die Ampel an der schmalen geteerten Straße, auf der sich zwei entgegenkommende Autos touchieren, wenn keiner ausweicht, blinkt erst orange, springt um auf Rot. Rechts Felder und Wiesen, links Wiesen und Wald. Keine andere Straße weit und breit, nicht mal ein Feldweg. Nur auf einmal diese rote Ampel. Wirkt wie ein abgehangener Witz aus „Verstehen Sie Spaß“. Mal sehen, wie lange Leute in ihrem Auto vor einer Ampel warten, die einfach sinnlos rot zu sein scheint. Dann quert auf einmal ein Segelflugzeug im Sinkflug die kleine Straße, plumpst auf eine Wiese und rumpelt von dannen.
Merz könnte einschweben
Friedrich Merz könnte auf dieser Wiese in Verden-Scharnhorst sicherlich auch landen. Der ist ja Pilot und zur Hochzeit von Christian Lindner und Franca Lehfeldt zum Beispiel schwebte er damals in einer zweimotorigen DA62 mit der offiziellen Kennung D-IAFM auf Sylt ein. Das FM steht ziemlich sicher für Friedrich Merz. Nun ist Scharnhorst eindeutig nicht Sylt und vielleicht ist die silbrige Eine-Million-Euro-Privatmaschine von Merz auch eine Nummer zu edel für den kleinen Flugplatz. Der hat nicht mal eine asphaltierte Start- und Landebahn, bloß diese Wiese zwischen anderen Wiesen, Feldern und Wald.
Aber die Stars sind hier auf dem Flugplatz eh die Segelflieger des 1932 gegründeten Luftfahrtvereins. In Scharnhorst, das zur niedersächsischen Stadt Verden gehört, leben knapp 1.700 Menschen. Es gibt immer mal Trecker-Oldtimer-Treffen auf einer Wiese neben dem Friedhof, einen Sportplatz samt Basketballkorb, einmal im Jahr ist Schützenfest. Ein klassisch dörfliches Umfeld. Und dann gibt es eben den Flugplatz, rund 140 Mitglieder zählt der Verein, der ihn betreibt. An Tagen der offenen Tür gibt es Bier und Bratwurst.
Das Vereinswesen ist ja in Deutschland ohnehin eine echte Größe. Jeder noch so kleine Ort hat irgendeinen Verein, identitätsstiftend ist das. Laut Stiftungsverband für die deutsche Wissenschaft gibt es, zumindest war das der Stand 2022, bundesweit rund 600.000 Vereine. Und das sind bei Weitem nicht bloß Sportvereine. Die Zahl der Luftfahrtvereine dürfte etwa bei 1.200 bis 1.500 liegen, grob geschätzt jedenfalls. Einer davon ist in Scharnhorst.
Der Tower des kleinen Flugplatzes ragt nicht annähernd an die Bäume des angrenzenden Waldes ran, so niedrig ist er. Ein Minitower. Trotzdem: Es ist ein echter Flugplatz, klein zwar, aber mit Tankstelle und Hangars. Alles da, was man braucht – auch die Menschen, die am Rand stehen, in ihren Autos sitzen oder auch mal auf der gegenüberliegenden Wiese liegen, picknicken und den abhebenden und niedergehenden Fliegern hinterherschauen. Denn Flugzeuge, egal welcher Größe und Couleur, üben ja eine eigenartige Faszination aus.
Wer zum Beispiel schon mal die insgesamt 16 Kilometer um den Hamburger Flughafen herumgewandert oder mit dem Rad gefahren ist, kommt an mehreren Bänken vorbei, die extra Richtung Start- und Landebahn ausgerichtet dastehen und auf denen immer Leute sitzen und den startenden oder landenden Maschinen zuschauen.
Segelflieger plainspotten
Hier sind sie zumindest beeindruckend groß und laut und haben so Ziele wie Dubai oder Palma de Mallorca. Auf dem Flugplatz in Scharnhorst landen zwar auch kleine Maschinen mit Motor, die ein bisschen Lärm machen, aber vor allem sind hier Segelflieger unterwegs und werden geplainspottet. Bänke zum Gucken gibt es hier allerdings nicht.
Die Besonderheit Es gibt über das ganze Land verteilt solche Flugplätze, aber dieser hier ist irgendwie friedlich, wie er so daliegt, mitten im Nichts.
Das Zielpublikum Für Flugzeugbegeisterte ist so ein Flugplatz sicher immer was, geschenkt. Aber wer gern auf einer Wiese sitzt, in den Himmel guckt und picknickt, ist hier auch richtig. Einmal Segelfliegen kostet für Gäste übrigens 20 Euro, je nach Wetter und Thermik dauert so ein Flug 5 bis 30 Minuten.
Hindernisse auf dem Weg Mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommt man hier nicht hin. Keine Chance. Wer nicht herfliegt, und wer tut das schon, steigt am besten in Verden am Bahnhof aus, es gibt sogar eine ICE-Direktverbindung Verden-Berlin, setzt sich aufs Fahrrad und radelt dann nach Scharnhorst, na ja, durch Scharnhorst durch und immer weiter geradeaus.
Segelflieger, die in ihrer Form irgendwie an Spermien erinnern und so fragil wirken, als könnte ein Windstoß sie aus der Bahn werfen, passen hier auch sehr gut her. Diese Flugzeuge sehen aus, als bestünden sie bloß aus Pappmaschee und Kleber, und wenn die vom Himmel auf die Wiese plumpsen, wirkt es, als fielen sie gleich auseinander. Alles wackelt. Und je langsamer sie rollen, desto mehr neigen sie sich in eine Richtung, um im Stillstand angekommen endgültig auf einen der Flügel zu kippen – der wirkt dann wie ein ellenlanger Fahrradständer.
Von alleine fliegen die weißen Dinger nicht, sie müssen mit fremder Hilfe hoch in die Luft gebracht werden. Dafür gibt es verschiedene Methoden: Beim Schleppstart, der Name verrät es schon, ist es wie beim Abschleppen, ein Motorflugzeug zieht den Segler hinter sich her und lässt ihn oben frei. Beim Windenstart wird das Segelflugzeug über ein etwa 1.200 Meter langes Seil mit einer Seilwinde verbunden. Die Winde zieht das Seil möglichst zügig ein, sodass das Segelflugzeug sehr schnell seine Abhebegeschwindigkeit von 85 bis 100 km/h erreicht. Sind sie hoch genug, klingt der Pilot oder die Pilotin das Seil aus und es gleitet mit einem kleinen Fallschirm zu Boden.
Die Flugdauer ist vom Wetter abhängig, na ja, eigentlich von der Thermik, und liegt zumindest für Rundfluggäste zwischen 5 und 30 Minuten. Die kleinen Flieger können aber durchaus auch noch länger durch die Luft gleiten, stundenlang und mehrere Hundert Kilometer weit. Leise nach Sylt schweben, wäre also auch drin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen