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die ortsbegehungIn alter Feindschaft verbunden

Im Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft finden sich Dokumente zur DDR-Opposition. Untergebracht ist es dort, wo einst ihr großer Gegner deren Überwachung organisierte

Reihenweise Dokumente zur DDR- Opposition Illustration: Jeong Hwa Min

Aus Berlin Leonore Kogler

Ein dreigeschossiges Gebäude aus graubraunem Beton, die Fenster mit weißen Fensterrahmen in einem straffen Raster, zwei Türen aus Kunststoff. Durch die größere von den beiden geht es, große rote Lettern darüber weisen darauf hin, in die Rusche-Apotheke. Die andere Tür ist deutlich kleiner, fast schon unscheinbar. Darüber steht: „Robert Havemann Gesellschaft. Archiv der DDR-Opposition“.

Wenn man also die Apotheke rechts liegen lässt und die kleinere Tür öffnet, kommt man ins Robert-Havemann-Archiv. Hier liegen Dokumente aus der DDR-Opposition. Das Archiv ist Teil der Robert-Havemann-Gesellschaft, die sich der Dokumentation von Opposition und Widerstand in der DDR widmet. Eröffnet wurde es 1994.

Kahle Flure, kaltes Licht

Die weiße Eingangstür führt in ein funktionales Treppenhaus, in dem die Gesichter prominenter DDR-Dissident:innen wie Bärbel Bohley, der Mitbegründerin des Neuen Forums, Liedermacher Wolf Biermann und Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe, die von 2010 bis 2017 die erste Brandenburger „Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“ war, uns in Schwarz-Weiß von der Wand aus anlächeln.

Vom Treppenhaus gehen auf den drei Etagen lange Flure ab, die Wände sind schneeweiß, Neonröhren machen grelles Licht, die Decken sind niedrig. Rechts und links finden sich graue Holztüren.

Es ist kahl und das Licht ist kalt. Schon eine bedrückende Atmosphäre hier an der Ruschestraße 103 in Berlin-Lichtenberg. Auch das Haus 17, in dem sich das Archiv befindet, gehörte zum weitläufigen Komplex des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, der Stasi. Heute ist hier der „Campus für Demokratie“.

Die drei Etagen im Haus 17 gehören der Robert-Havemann-Gesellschaft, die dort ihre Bestände aufbewahrt. Räume mit schwarzen Aktenordnern und grauen Boxen. Im Archiv liegen alte Plakate, Flugblätter und Zeitungen der DDR-Opposition, auch Filme, Audioaufnahmen und Bilder gehören der Stiftung. Daneben bilden Nachlässe von Oppositions-Persönlichkeiten wie eben Bohley, Poppe und Havemann einen großen Teil des Archivs.

Im Lesesaal können Ar­chiv­be­su­che­r:in­nen so den Briefwechsel zwischen Robert Havemann und Wolf Biermann oder in der Oppositionszeitung grenzfall lesen. Auf Anfrage werden die entsprechenden digitalisierten Dokumente auf einen PC im Lesesaal gezogen. Laptops sind möglich, Handys sind hier nicht erlaubt.

In den Räumen der Stasi hat sich die DDR-Opposition einquartiert. So ist im Robert-­Havemann-Archiv eine Verschachtelung aus Erinnerungen entstanden, geradezu dialektisch zwischen Überwachenden und Überwachten, zwischen Stasi und Opposition, zwischen DDR und DDR-Kritik.

Eine Dialektik, die übrigens auch Robert Havemann (1910–1982) selbst par exellence verkörpert. Der Chemiker gilt als einer der bekanntesten Ver­tre­te­r:in­nen der DDR-Opposition. Er bezeichnete sich als überzeugten Kommunisten, war während des Zweiten Weltkrieges Teil verschiedener Widerstandsgruppen und trat nach dem Krieg der SED bei.

Als Chemie-Professor gehörte er zur intellektuellen Elite der DDR. Ab 1956 belieferte er die Stasi als Geheimer Informant (GI) „Leitz“ mit Informationen. Doch die Stasi traute Havemann nicht uneingeschränkt. Spätestens nachdem 1963 ein Interview von ihm in einer Hamburger Zeitung erschien, war man überzeugt, dass es an der staatsfeindlichen Tätigkeit Havemanns keinen Zweifel mehr gebe. Die Stasi stellte die Zusammenarbeit ein, mehr noch, überwachte ihn systematisch. Der GI „Leitz“ bekam eine neue Registernummer innerhalb der bürokratischen Maschinerie der Stasi und wurde zum Operativfall (OV) „Leitz“.

Wenig überraschend also, dass es weit über 100 Bände Stasi-Unterlagen zu IG und OV „Leitz“ gibt. Sie finden sich im Stasi-Unterlagen-Archiv, nur 200 Meter Luftlinie von seinem Nachlass im Robert-Havemann-Archiv entfernt.

Nix wie hin

Die Besonderheit Im Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft treffen DDR-Opposition und Stasi aufeinander. Dokumentiert wird nicht nur die Geschichte der DDR-Opposition, es geht auch um die politischen Umstände ihrer Entstehung. Mit den inzwischen auf 700 laufende Meter Schriftgut angewachsenen Beständen hat man es mit dem umfangreichsten Archiv der DDR-Opposition zu tun.

Das Zielpublikum Interessierte, Forschende, Schüler:innen, Studierende, alte und junge Menschen aus Ost und West, die der DDR-Opposition auf die Spur kommen wollen.

Hindernisse auf dem Weg Nur kleine. Mit der U-Bahn kommt man bequem bis zum U-Bahnhof Magdalenenstraße, der nur wenige Gehminuten vom Archiv entfernt ist. Nicht vergessen, sich für den Archivbesuch vorher online oder telefonisch einen Termin geben zu lassen.

Untrennbar verbunden

In der Ruschestraße 103 sind DDR-Opposition und Stasi so weiterhin untrennbar mitein­ander verbunden, wie sie es schon immer waren. Die Opposition kämpfte gegen die Stasi, die Stasi ging gegen die Opposition vor – die aber halt gegenüber des riesigen Stasi-Apparates nur eine kleine Instanz war.

An jeder Ecke des weitläufigen Geländes wird heute der „Campus für Demokratie“ hier in der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit beschildert, während auf das Robert-Havemann-Archiv kaum hingewiesen wird. Das Archiv wirkt wie ein Häuschen neben einer großen Festung.

Letztlich sitzt die Stasi den Resten der DDR-Opposition bis heute im Nacken. Sie kommen nicht voneinander los.

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