die gesellschaftskritik: Dokus als Wegbereiter für Gerechtigkeit
Sie beide werden ihren Lebensabend wohl im Gefängnis verbringen müssen: Ghislaine Maxwell, 60, und R. Kelly, 57, sind zu hohen Haftstrafen verurteilt worden – von US-Jurys für schuldig befunden wurden sie bereits vergangenes Jahr. Maxwell, Vertraute des Investmentbankers Jeffrey Epstein, muss 20 Jahre ins Gefängnis, R. Kelly, ehemaliger Popstar, ganze 30. Das Urteil und die langen Haftstrafen sind große Erfolge für die MeToo-Bewegung, deren Kampagnen an die Netzöffentlichkeit brachten, was seit Jahrzehnten bekannt war. Doch erst zwei Streaming-Produktionen machten eine breite gesellschaftliche Debatte unausweichlich, indem sie veranschaulichten, was viele bis dahin immer noch nicht sehen wollten. Die Verbrechen Maxwells und R. Kellys eint ihre Monstrosität, ihre Systematik und kollektives Wegsehen zahlloser Mitwisser:innen. Maxwell galt als rechte Hand ihres verstorbenen Partners Epstein und spielte eine zentrale Rolle beim Aufbau eines großen Missbrauchsrings.
Mindestens 100 meist minderjährige Mädchen und Frauen sprach sie über Jahrzehnte hinweg auf der Straße an, baute Vertrauen auf, indem sie ihnen eine berufliche Perspektive auf ihren Anwesen versprach. Dort arbeiteten sie unter anderem als Masseurinnen Epsteins, der sich an ihnen verging. Auch R. Kelly begann bereits in den Neunzigern, Minderjährige psychisch und physisch zu missbrauchen, ihm wurde vorgeworfen, Frauen als „Sklavinnen“ gehalten zu haben. Manager und Mitarbeiter:innen sollen ihm die Mädchen zugeführt haben, sie unterschrieben Verschwiegenheitserklärungen, wurden erpresst.
Immer wieder gab es Vorwürfe und Anzeigen, die seiner Karriere nicht schadeten. Erst die MeToo-Bewegung schuf ab 2017 ein Klima, das Betroffene dazu ermutigte, das Wort zu ergreifen. Aber es brauchte die Dokus „Surviving R. Kelly“ und „Jeffrey Epstein: Filthy Rich“, damit etwas ins Rollen kam. Überlebende erzählen darin in vielen Folgen, was ihnen zugestoßen ist und welche Mechanismen sie jahrelang zum Schweigen brachten. Wer sich MeToo durchs Schließen seiner Twitter-App entziehen wollte, konnte nicht mehr wegschauen.
Weil die Macher:innen der Dokus den Opfern sexualisierter Gewalt nämlich öffentlichen Raum gaben, sie ausreden ließen, ihnen Glauben schenkten. Die Produktionen haben dazu beigetragen, ein Bewusstsein für Strukturen zu entwickeln, die sexualisierte Gewalt begünstigen. Mögen sie nicht jedes Mal nötig sein, um Missbrauchsskandale vor Gericht zu bringen. Leonie Gubela
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