die dritte meinung: In Nachrufen wurde Stephen Hawking zu oft aufs Körperliche reduziert, sagt Lili Masuhr
Lilian Masuhr
ist bei den Sozialhelden Projektleiterin von Leidmedien.de und Medientrainerin zum Thema Medien über Behinderung. Sie war Reporterin und Moderatorin bei Fritz (rbb), moderiert heute Podiumsdiskussionen und ist Organisatorin des Campaign Bootcamps.
Als der weltberühmte Astrophysiker Stephen Hawking diesen Mittwoch starb, berichteten viele darüber. Die Art und Weise jedoch bleibt fragwürdig, denn oft schwang die Frage mit: Wie weit kann es ein Mensch mit Behinderung überhaupt schaffen, uns mit Theorien über das Weltall zu bereichern, um dennoch nur auf eins reduziert zu werden: den körperlichen Zustand? Dass Hawking einen Großteil seines Lebens mit der Krankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) lebte, ist natürlich eine Erwähnung wert. Doch viele Medien fokussierten sich derart stark auf die Tatsache, dass Hawking wegen seiner Erkrankung im Rollstuhl saß, dass sein berufliches Schaffen in den Hintergrund trat.
Dabei kam es zu bizarren Annahmen: Dass etwa der begabte Physiker es „trotz seiner körperlichen Einschränkungen“ weit gebracht habe. Dieses Bild entspricht gängigen Formulierungen, wenn behinderte Menschen porträtiert werden – sie sind erfolgreich „trotz Behinderung“, strahlen Lebensfreude aus, „obwohl sie behindert sind“, und „meistern tapfer ihr Schicksal“. Dieses vermittelte Bild macht es ihnen schwerer, von nichtbehinderten Menschen, beruflich oder privat, akzeptiert zu werden.
Sprachlich gingen die Schilderungen weit auseinander: Während Hawking bei den einen noch „an den Rollstuhl gefesselt“ wurde, schrieben andere auch, er sei „auf den Rollstuhl angewiesen“. Während er bei den einen noch „gefangen in einem unbeweglichen Körper“ war, wurde er bei anderen einfach zum „ungemein produktiven Wissenschaftler“. Vor allem Beschreibungen Hawkings als Ehemann (zweifach), Vater, Lehrer und humorvolle Persönlichkeit zeigen, wie er wirklich war, und machten den Astrophysiker zuletzt auch nahbarer als Mensch.
Tatsächlich wurde der Mensch Hawking auch mal ganz weggelassen – und nur ein leerer Rollstuhl abgebildet. Da bleibt die Frage: Wollen wir selbst, dass wir später nur in Erinnerung bleiben als Brille tragende, schwerhörige oder depressive Menschen? Oder als Menschen mit Persönlichkeit?
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