die dritte meinung: Ohrenkneifer verdienen genauso viel Artenschutz wie Pandabären, schreibt Heiko Werning
Heiko Werning
hat technischen Umweltschutz studiert. Er ist Autor und Artenschützer.
Das ist doch eigentlich ganz praktisch, mag man denken, wenn die Windschutzscheibe nicht dauernd so verklebt ist mit all den zermatschten Insekten, und vom Seitenspiegel kriegt man die ja auch nur schlecht wieder ab. Mücken nerven sowieso, und wegen dem schäbigen Juchtenkäfer erhöht die Bahn dauernd ihre Preise. Oder so ähnlich.
Das Bedauern über das Insektensterben hält sich landesweit in überschaubaren Grenzen. Langfühlerschrecken sind eben keine Pandabären und Ohrenkneifer keine niedlichen Hündchen. Dabei sind die Folgen der Populationseinbrüche bei den Wirbellosen dramatisch: Vögel, Eidechsen und Frösche finden nicht mehr genug zu fressen und verschwinden gleich mit. Dass das Bienensterben sehr konkrete Auswirkungen hat, dämmert immerhin sogar vielen, die Kerfen sonst am liebsten mit der Dose Insektenspray in der Hand begegnen.
Die Reaktionen sind trotzdem dieselben wie die auf den Klimawandel oder die Feinstaubbelastung: Erst mal anzweifeln, ob das denn wirklich sicher wissenschaftlich bewiesen ist, und falls doch, findet sich garantiert irgendwo ein Journalist, der sich als Arthropodenexperte sieht, weil er auch schon mal eine Kakerlake in der Küche hatte, und dann den Insektensterbenskeptiker gibt. Und die eigene Branche, in diesem Fall also die Landwirtschaft, ist ja grundsätzlich nie von Bedeutung für das Problem. Also machen wir doch lieber erst mal einfach alle so weiter.
Für die Grünen böte sich bei den Koalitionsgesprächen die Möglichkeit, zu zeigen, dass sie Naturschutzthemen nicht länger mit nutzlosen Katzenschutzgesetzen verwechseln. Ohne eine tatsächliche Umsteuerung mit deutlicher Einschränkung von Pflanzenschutzmitteln und ökologisch orientierter Umwidmung von Flächen wird es nicht gehen. Dafür gäbe es auch ein schönes Wappentier für die angehenden Koalitionäre: Papilio homerus, den Jamaika-Schwalbenschwanz. Es ist der zweitgrößte Schmetterling der Welt, nur auf jener Karibikinsel beheimatet – und steht kurz vor der Ausrottung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen