■ Die Anderen: die britische "Times", Italiens "Corriere della Sera", die "Neue Zürcher Zeitung" und die Budapester Tageszeitung "Nepszava" schreiben zur Austrahlung des Videobandes mit der Aussage von Bill Clinton in der Lewinsky-Affäre
Die britische Tageszeitung „The Times“ schreibt zur Ausstrahlung des Videobandes mit der Aussage von US-Präsident Bill Clinton in der Lewinsky-Affäre: Es war ein außergewöhnlicher Tag für die amerikanische Präsidentschaft. Clinton ist wie kein anderer seiner Vorgänger gezwungen worden, ein großes Maß an persönlicher und politischer Erniedrigung zu ertragen. Während des Großteils seiner Aussage zeigte er sich gefaßt. Seine Antworten, oft defensiv und manchmal gequält, waren unter den gegebenen Umständen nicht haarsträubend. Aber weder Verfassungsfragen noch das Gesetz werden über das Schicksal Clintons bestimmen. In sechs Wochen stehen wichtige Wahlen bevor. Die Show geht weiter.
Italiens „Corriere della Sera“ kommentiert dazu: Es ist jedoch klar, daß die Republikaner ihrem Vorhaben, Clinton abzusetzen oder zum Rücktritt zu zwingen, nicht entsagen werden. Aber die Republikaner wollen dennoch keine schnelle Lösung der Krise, denn sie sind sich bewußt, daß die Popularität des Präsidenten immer noch an die Sechzig-Prozent-Marke heranreicht. Die Supermacht der Welt ist daher an einem schmerzhaften Wendepunkt angelangt: Sie weiß im Moment nicht, was sich hinter der nächsten Ecke verbirgt. Sie ist des Sexgate-Skandals überdrüssig, und sie begreift, daß die politische Schlacht nicht nur den Präsidenten beschädigen könnte, sondern auch die ganze Demokratie.
Die „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt zum selben Thema: Ohne Würde ist es für ein europäisches Rechtsgefühl, die persönliche Sphäre von Menschen, auf deren Schutz jeder Bürger, auch ein Amtsträger, Anspruch haben sollte, in politischer Absicht schonungslos der Medienöffentlichkeit auszuliefern. Natürlich, Bill Clinton hat als Präsident seinen politischen Gegnern und Kritikern zweifellos Charaktermängel offenbart. Als Schürzenjäger scheint er unverbesserlich, und man kann gewiß nicht viel auf seine Reue- und Besserungsversprechen geben. Aber rechtfertigt das den „sexuellen McCarthyismus“, mit dem jetzt die Umtriebe Clintons verfolgt und in allen Details publiziert werden?
Die Budapester Tageszeitung „Népszava“ meint: Nur wenige waren dafür, daß die Videoaufzeichnung veröffentlicht wird, doch man kann sicher sein, daß die weltweite Übertragung Rekordquoten erzielt hat. Auch zu den öffentlichen Hinrichtungen liefen seinerzeit die Massen zusammen... Gestern hielt der US- Präsident eine bedeutende Rede vor der UN-Vollversammlung, doch niemand beachtete sie. Alles starrte gebannt auf die andere Clinton-Übertragung. Langfristig ist das untragbar, denn die Krisenherde dieser Welt rufen nach amerikanischer Führungsfähigkeit. In Washington sollte man sich so schnell wie möglich entscheiden, ob man dem Präsidenten den Rücken stärken möchte oder ihn absetzen will.
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