die anderen:
Die Freie Presse aus Chemnitz schreibt zu Helmut Kohls Vergleich mit der Nazizeit: Gerade weil er sich größte Verdienste um Deutschland und Europa erworben hat, bleiben jede seiner Reaktionen und jedes Wort von ihm in dieser Affäre wichtig. Ihm, dem Historiker, kann man deshalb eine solche Entgleisung nicht durchgehen lassen. Zudem hat Kohl als Schuljunge in seiner Familie auf ganz schreckliche Weise erlebt, was die Nazizeit wirklich bedeutete: Sein älterer Bruder kam nur wenige Tage vor Kriegsende ums Leben. Darf man darauf hoffen, dass Kohl seine Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss dazu nutzen wird, sich zu korrigieren? Ein solches Gremium bleibt im Parlamentarismus unverzichtbar. An Aufklärung, auch wenn sie noch so schmerzen mag, führt kein Weg vorbei.
Die Berliner Zeitung nimmt die deutsche Parteienlandschaft aufs Korn: Nahezu gleichzeitig machen sich SPD, CDU, Grüne und FDP auf den Weg. Sie verlassen alte Positionen. Ihre Richtung ist die Mitte. Die Entwicklung des Fernsehens bietet einen guten Vergleich, um zu zeigen, wo diese Bewegung endet. Die FDP hat als Erste begriffen, worauf es ankommt: Quote, nichts als Quote. Jürgen Möllemann hat kein politisches Programm mehr, sondern nur noch die Aussage 18 Prozent. Wie Westerwelle und Möllemann Wolfgang Gerhardt rausekeln und wie dieser sich wehrt, das ähnelt nicht Big Brother, das ist Big Brother. Die FDP ist RTL 2 unter den Parteien, und man muss, wie die Zeiten sind, ihre Aktien empfehlen. SPD und CDU bieten noch ein komplettes Familienprogramm, das sie zeitgemäß entrümpelt haben. Die SPD macht das seit Schröder nahezu perfekt.
Die Südwest Presse aus Ulm meint zur Blockade des Brenner: Die Tiroler machen wieder mobil. So wie ihr Nationalheld Andreas Hofer vor fast 200 Jahren seine Senner gegen die Bayern und Franzosen losschickte, geht es nun aufs Neue gegen die EU-Verkehrspolitik. Der Tiroler Landeshauptmann hat die „Versammlung“ auf der Brenner-Autobahn gestattet und ist Genehmigungsbehörde und Demonstrant in einem. Das Chaos an diesem Ferienwochenende ist programmiert. Gewiss sollten sich die Tiroler auch ans eigene Revers fassen. Schließlich verdienen sie sich an der Brenner-Autobahn eine goldene Nase. Und nach wie vor sind sie stolz auf das weltläufige Flair, das von ihrer „Europabrücke“ ausgeht. Gleichzeitig muss sich aber die EU überlegen, wie lange sie die Österreicher hinhalten will. Feierliche Verträge über „Öko-Punkte“ im Transitverkehr sind das Papier nicht mehr wert, auf dem sie besiegelt wurden.
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