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der rote fadenVon Palästina zur Buchmesse in Leipzig

Durch die Woche mit Nina Apin

Ob es mir gutgehe, wollte meine Mutter Anfang der Woche wissen. Dass ich 10 Tage durch Palästina und Israel reiste, fand sie nicht unbedingt beruhigend. Zumal meine Eltern als Spiegel-Leser natürlich im aktuellen Heft die Geschichte aus dem palästinensischen Dorf Nabi Salih gelesen haben, Heimat der im Gefängnis 17 Jahre alt gewordenen Ahed Tamimi, die einen israelischen Soldaten geohrfeigt hat und dafür jetzt vor dem Militärgericht steht. Genau wie ihre Mutter, die die Ohrfeige gefilmt und verbreitet hat.

In der Reportage war zu lesen, dass Jugendliche und sogar Kinder aus dem Dorf zur Abschreckung ins Gefängnis gesteckt wurden. Dass Kinder unter 14 in israelischen Gefängnissen sitzen und dort auch misshandelt werden, habe ich, ehrlich gesagt, immer ein wenig bezweifelt. Ob da nicht, wie im Fall der Social-Media-Profi-Familie Tamimi auch Widerstandsfolklore im Spiel ist, Pali­wood sozusagen?

Paliwood?

Kann schon sein. Andererseits: Dörfer wie Nabi Salih findet man viele in Palästina. Ich habe Menschen getroffen, die nicht wie Medienprofis wirkten, aber Übles erzählten: Bauern, die ihre Oliven von Freiwilligen aus aller Welt ernten lassen müssen, weil ihnen untersagt wird, selbst ihre Felder zu betreten. Mütter, die davon erzählen, wie der Sohn nachts von Soldaten abgeholt wurde – und mit Knochenbrüchen zurückkam. Familien, deren Haus abgerissen wird, weil es dem Bau einer Mauer oder einer Siedlung im Weg ist. Andererseits erinnere ich mich auch noch gut an die „Tod Israel“-Rufe bei Berliner Demos, da liefen auch Palästinenser mit …

Eine Berliner Freundin schrieb ironisch : „Und, bist du schon gehirngewaschen?“ Ich antwortete ratlos: „Ja, vielleicht – ach, ich weiß nicht.“ Am Dienstag lernte ich in Tel Aviv dann eine Frau kennen, die ehrenamtlich palästinensische Inhaftierte betreut – obwohl ihr eigener Cousin bei einer Messerattacke lebensgefährlich verletzt wurde. 51 Jahre schon dauert an, was manche dort geradeheraus Besetzung nennen und viele nur „the conflict“, oder „the situation“.

Grabeskirche

Mit der Floskel „It’s because of the situation“ wird so ziemlich alles erklärt: Müll auf den Straßen, Korruption oder auch nur die eigenen Vorurteile. Bei der Fahrt zum Ben-Gurion-Flug­hafen plauderte ich mit dem (jüdischen) Taxifahrer über die Jerusalemer Grabeskirche, dieses wundersame bauliche Ensemble aus verschiedenen Jahrhunderten, in dem jede christliche Konfession ihre eigene Ecke hat, die griechisch-orthodoxen, die Katholiken, die Kopten, die Armenier … nur die Protestanten kamen mit ihrer Reformation zu spät und mussten sich eine eigene Kirche bauen.

In meinem Reiseführer stand, dass die Christen so sehr zerstritten sind, dass um des Friedens willen eine muslimische Familie den Kirchenschlüssel verwaltet. Falsch!, rief der Taxifahrer und haute mit der flachen Hand aufs Lenkrad. Die Muslime hätten sich den Kirchenschlüssel unter den Nagel gerissen – so wie sie sich überhaupt alles unter den Nagel reißen würden! Wenn man nicht aufpasse, gebe es Israel bald nicht mehr!! Der Tacho kletterte auf 128 Stundenkilometer, den Rest der Fahrt herrschte Schweigen.

Tellkamp

Zurück in Berlin reden alle über den Schriftsteller Uwe Tellkamp, der zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse Stimmung gegen „in die Sozial­systeme einwandernde Flüchtlinge“ machte. Und sich dann über einen engen Meinungskorridor im Land beschwerte. Man dürfe überhaupt nichts mehr sagen, ohne gleich öffentlich geächtet zu werden!

Das mit dem Korridor ist natürlich ein griffiges Sprachbild. Stimmt nur nicht. Der Korridor dessen, was hier alles gemeint werden darf, scheint mir doch ziemlich weit: Am Donnerstagmorgen im Deutschlandfunk legte die Schriftstellerin ­Monika Maron ausführlich und ungestört dar, wie sich ihrer Ansicht nach der Islam in Deutschland ausbreitet und in den Alltag eindringt. Gleich darauf erklärte der AfD-Abgeordnete Jürgen Pohl im Interview, warum er nach einer Syrienreise mit Parteikollegen jetzt zu der Einschätzung gekommen ist, dass das Land sicher genug ist, um Flüchtlinge dorthin zurückschicken zu können.

Flüchtlinge

Man kann Angela Merkel zu Beginn ihrer vierten Amtsperiode als Bundeskanzlerin also ohne Probleme eine verfehlte Flüchtlingspolitik vorwerfen. Man kann Leute, die aus einem Bürgerkriegsland geflohen sind, in aller Ruhe als Wirtschaftsflüchtlinge diffamieren oder ihre Religion zu einer Bedrohung erklären. Man kann, wenn man Horst Seehofer heißt und gerade Innenminister geworden ist, auch der Regierungschefin widersprechen und in der Bild-Zeitung sagen, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre.

All das kann und darf man in diesem unserem Korridor sagen, schreiben und senden. Kein Gefängnis, keine Sippenhaft. Aber mit Widerspruch muss man eben auch leben. That’s the situation.

Nächste Woche Robert Misik

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