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der rote faden Roh ist es unter dem Firnis. Und finster. Aber streiten muss man

nächste wochenina apin Foto: Stefan Boness/Ipon

durch die woche mit

Meike Laaff

Nun hatte also auch Thomas de Maizière seinen Das-wird-man-doch-noch-mal-sagen-dürfen-Moment.Drei Monate Blitzausbildung, dann Waffe, und fertig ist der „Wachpolizist“. So in etwa stellt sich der Bundesinnenminister die Bekämpfung von Einbrüchen vor. Und bekommt dafür völlig zu Recht Dresche: Schlecht bezahlt plus schlecht ausgebildet plus bewaffnet – was könnte jemals schiefgehen?

Billo-Wachmänner

Wer das besichtigen will, könnte mal einen Blick in die USA riskieren, wo Polizisten in einigen Bundesstaaten nicht länger als drei Monate lernen müssen. Wobei: So weit braucht man gar nicht zu schauen – demonstrieren doch auch diverse deutsche Bürgerwehren, wie es aussieht, wenn selbsternannte Rechtsdurchsetzer freidrehen.

Richtig finster daran ist allerdings: De Maizières Vorschlag ist wurschtig. So wurschtig, dass er denen recht gibt, die immer herumstammtischen, die da oben kümmerten sich einen Dreck um sie. Die Leute fürchten sich vor Einbrüchen? Sorry, unsere richtig ausgebildeten Polizisten sind leider alle mit Wichtigerem beschäftigt. Oder schon eingespart worden. Aber wir schicken mal ein paar Billo-Kollegen vorbei. Die sind zwar kaum ausgebildet, tragen aber wenigstens Pistolen. Ach, und ein paar Überwachungskameras mehr zum Aufhängen sind bestimmt auch noch drin im Budget. Weil uns Ihre Sicherheit so am Herzen liegt.

Sicherheit kostet Geld. Und zwar die Ausbildung und Löhne anständig ausgebildeter Kräfte. De Maizières Idee sendet zwei fatale Botschaften aus: Zum einen, dass er das Problem nicht ernst oder wichtig genug nimmt, um zur Bekämpfung Geld in die Hand zu nehmen. Und zum anderen: Polizeiarbeit, dafür braucht es nicht viel. Das kann praktisch jeder.

Überforderung

Derlei Wurschtigkeit ist gefährlich. Gerade in einer Zeit, in der das Vertrauen in staatliche Stellen spektakulär gering ist. Dieses Vertrauen erringt man ganz bestimmt nicht zurück, indem man die Lücken, die durch Sparen bei Kernaufgaben entstanden sind, notdürftig auffüllt – egal ob in Schulen und in Kitas oder bei den Ausübern des staatlichen Gewaltmonopols. Denn so bestätigen Politik und Behörden nur: Wir schaffen es nicht mehr, die bisherigen Standards einzuhalten. Deshalb senken wir sie.

Das ist das Eingeständnis von Überforderung. Euphemistisch könnte man das anders gesetzte Prioritäten nennen. Oder halt Staatsversagen: Stück für Stück das abschaffen, was man errungen hat. Zugunsten von Behelfslösungen. Und einer roheren Version von Staat und Gesellschaft.

Es wäre längst nicht der einzige Bereich, in dem Überforderung zur Verrohung führt. Der Firnis von westlichen Werten, er splittert schon länger. Angst heiligt die Mittel zur Bekämpfung – das ist im Zusammenhang zwischen innerer Sicherheit und Überwachungsmaßnahmen schon längst so. Zeigt sich nun aber am deutlichsten an Europas Versuchen, Flüchtlinge draußen zu halten. Egal, auf welch unbarmherzigen und illegalen Wegen.

Wurschtigkeit

Roh ist es unter diesem Firnis. So roh wie in der fremdenfeindlichen Polemik der europäischen Rechtsruck-Parteien. So roh wie im Wahlkampf von Donald Trump – der sich nicht einmal scheut, das Massaker im Homo-Club in Orlando für seine Kampagne zu instrumentalisieren. Und so roh, dass es Kommentatoren vollkommen plausibel erscheint, dass eine britische Labour-Abgeordnete, die sich für die Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt hat, für Integration und den Verbleib von Großbritannien in der EU, aus politischen Gründen ermordet wird. Und zwar lange bevor klar ist, was tatsächlich Hintergründe und Motive der Tat waren.

Finster ist das alles. Deprimierend. Vielerorts sind diese Reaktionen spürbar, bei Menschen, die sich als links oder zumindest liberal verstehen. Dünnhäutig sind viele dieser Tage – wie wundgerubbelt.

Provinzdeppentum

Fast täglich eine neue Katastrophe, die man zu den anderen auf den Stapel legen kann. Mag sein, dass das schon immer oder oft so war. Weniger überfordernd macht es das nicht. Wogegen noch aufbegehren, wo überhaupt anfangen, wenn alles ins Rutschen zu geraten scheint – und man sich so wund fühlt, dass jede Bewegung schmerzt?

Auch hier sind Wurstig- und Gleichgültigkeit Mist. Weil sie denen recht geben, die mit ihrem brandgefährlichen Provinz­deppentum zurück in die gesellschaftliche und moralische Steinzeit wollen. Unzumutbarkeiten einfach zu erdulden, weil es einfach zu viele werden – auch das ist Verrohung.

Anstrengend ist es und traurig, für Selbstverständlichkeiten plötzlich streiten zu müssen. Aber wahrscheinlich ist es genau jetzt soweit.

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