der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR:
… kann klein sein und kurzatmig, ganz schüchtern und doch sehr charmant. So sitzt er mir als Kollege gegenüber und fragt mich ganz leise: „Was meinst du, soll ich den anderen erzählen, dass ich schwul bin?“ – „Natürlich“, müsste ich jetzt sagen, „du wirst dich besser fühlen danach.“ Müsste ich. Aber rauskommen? In diesem Haifischbecken toleranter Heteros? Und was ist der Preis? Fragen nach Aids, und „Sach ma, wie bist du eigentlich schwul geworden?“, der komplette Ausschluss von allen Männerspielen und abfällige Reden: „Ach du und deine Leute.“ Soll man dazu raten?
Die Amis würden laut „Ja!“ schreien: „Ja! Ja! Ja!“ Besonders am 11. Oktober, dem „National Coming Out Day“. Das ist der Tag der Tage, geschaffen für die Probleme von kleinen, kurzatmigen Schwulen mit Angst am Arbeitsplatz und sonst wo. 1987 fing alles an, als am 11. Oktober mehr als eine halbe Million Lesben und Schwule in Washington für gleiche Rechte auf die Straße gingen. Seitdem wird an diesen Tag erinnert mit einem kollektiven coming out. Zunächst in 18 US-Staaten, mit großer medialer Begleitung von Oprah Winfrey, CNN und USA Today. Inzwischen hat die Idee längst alle übrigen US-Staaten erfasst, sieben andere Länder haben sich angeschlossen, darunter auch die Schweiz.
Eine eigene Organisation wurde gegründet, um all die Aktivitäten für das große Ereignis zu organisieren: Medienauftritte, Demonstrationen, private und öffentliche Events – rund um diesen einfachen, kleinen Satz „Ja, ich bin’s.“ Ganz locker in die Runde geworfen: zu Hause, in der Schule oder Uni, am Arbeitsplatz. Damit die kleinen Kurzatmigen nicht so allein dastehen dabei, sorgen die Coming-Out-Day-Organisationen jedes Jahr für prominente Begleitung. TV-Schauspielerin Amanda Bearse war 1994 die Erste, die den 11. Oktober nutzte und landesweit in einer Nachrichtensendung erklärte: „Ich bin lesbisch!“
Ein Jahr später war Candace Gingrich an der Reihe, Halbschwester des damaligen Regierungssprechers Newt Gringrich. Und 1996 stieg Popdiva Cher in die Bütt, nicht als Lesbe, aber als straight ally, als prominente Unterstützerin ihrer lesbischen Tochter Chastity. 2001 machte Chuck Panozzo, Bassist der Rock-Gruppe Styx den kleinen, großen Schritt. Und in diesem Jahr sind Cyndi Lauper und Ben Affleck dabei, nicht homo, aber Unterstützer, für die lesbische Schwester die eine, für den schwulen Cousin der andere. Und die lesbisch/schwulen Medien sind wieder voll mit Coming-out-Geschichten, die ganz simpel sind und dramatisch, ehrlich und ängstlich, mit und ohne Happy End. „Natürlich“, werde ich dem Kollegen raten, „du musst rauskommen. Das Haifischbecken wird nur kleiner davon.“
Den „Coming Out Day“, die deutsche Variante, erlebte der Bild-Leser am vergangenen Sonnabend: „Freddy Quinn: Sein geheimes Doppel-Leben.“ Wer jetzt ein offenes Wort des ewigen Matrosendarstellers erwartete, wurde enttäuscht: Ich bin seit 1950 liiert, mit einer Frau, so das Geständnis eines Mannes, über den seit Jahren ganz anderes getuschelt wird. Was für ein coming out!
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