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denunziantenalarm. ein rückblick auf den januar 2001 von WIGLAF DROSTE

Als frühere Linksradikale Minister wurden, schlug die Stunde der Flaschen. Konservative, die in den 70ern nach außen hin nichts zu melden hatten, durften sich rächen.

Die Deutschen widmen sich wieder mal ihrer Lieblingsbeschäftigung, der Denunzianz. Die angeblich säkularisierte Gesellschaft wird von einer Orgie des religiösen Atavismus und der katholischen Regression heimgesucht. Das Faible für den Schauprozess kommt zum Vorschwein: die Freude daran, Menschen ihrer Würde entkleidet zu sehen. Die perfideste Form des Denunziantentums ist das Verlangen nach Selbstbezichtigung anderer. Sie selbst sollen ihr eigener Ankläger sein – und dann öffentlich Reue zeigen, sich schämen und um Vergebung betteln. Während dieses Ritual vom Delinquenten traditionell in der Hoffnung auf Begnadigung zu lebenslänglicher Haft oder auch nur zu einem schnelleren, weniger qualvollen Tod vollzogen wurde, reicht heute die Androhung eines Karriereknicks, um öffentliche Entschuldigungsgesten zu erpressen.

Manchem ist das Kriechen auch ein dringendes Bedürfnis. Der Spiegel-Redakteur Reinhard Mohr hat über seine Siebzigerjahre ausgepackt, über Frankfurter Zeiten, die ganz schön wild nach Cindy und Bert klingen: „Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung, rabadabadapdap, rabadabadapdap!“, sang das Schlagerpaar des Schreckens. Mohrs selektive Erinnerung im Spiegel – „Immer wieder kommt sie hoch, die Erinnerung“ – liegt nah am Original, fügt aber noch die Anmutung von Schüsselchen am Bett hinzu. Mohr hat es fleißig voll gemacht.

„Alors, je m’accuse!“, trompetet Mohr, sich an Émile Zola und seine berühmte Schrift „J’accuse“ anflanschend – um dann Mazola Keimöl zu schreiben. Es sind die Adjektive, die ihn verraten. Mohr erinnert sich an die Ermordung Siegfried Bubacks: „Ich selbst war zwiespältig berührt, konnte mich aber auch nicht durchringen, den feigen Mordanschlag beim Namen zu nennen.“ Knapp 24 Jahre später, als es ihn nichts kostet, kann Mohr sich prima durchringen – auf den „feigen Mordanschlag“ sattelt er ein paar Absätze weiter einen „hinterhältigen Mord“. Die Morde der RAF sind gesellschaftlich geächtet und juristisch gesühnt – warum sie phrasenhaft niederträchtig nennen, heimtückisch, menschenverachtend und zynisch, hinterhältig und feige? Und was ist mutiger Mord? Der Schuss des Soldaten auf einen unbewaffneten Zivilisten? Die Distanzierungsadjektive tragen nichts zur Sache bei – sie dienen allein dem Sprecher, der sich mit ihrer Hilfe aufplustert und einordnet. Wer solch rituelle Handlungen von anderen verlangt, ist unzivilisiert; wer diesen unsittlichen Anträgen ohne Not nachkommt, leistet freiwilligen Zivilisationsverzicht.

Er habe „viel dummes Zeug geredet“, schreibt Mohr. Falsch daran ist nur die Wahl der Vergangenheitsform. Heute schreibt er das Zeug auf: „Verdammt, ich will leben“, ist Mohrs zäher Text überschrieben. Wenn man ihn zu Ende gelesen hat, bleibt nur eine Frage offen: Wozu? Langweilen kann man sich doch auch ohne Reinhard Mohr.

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