debatte: Vielleicht, irgendwann
Wieder werden die Beitrittsverhandlungen der EU mit Albanien und Nordmazedonien verschoben – ein schlechtes Signal für die ganze Region
JanaLapper
ist Volontärin der taz. Sie hat unter anderem in Wien studiert, von wo aus sie viele Reisen durch den Balkan unternommen hat. Mit einem DAAD-Stipendium beschäftigte sie sich besonders mit Albanien.
Lange hatten Albanien und Nordmazedonien darauf hingearbeitet, nun werden sie weiter vertröstet. Eigentlich hätten die Europaminister diese Woche endlich einen Termin festlegen sollen, wann die Beitrittsgespräche der beiden Länder zur EU beginnen sollen. Das ist nicht geschehen. Stattdessen wollen sie sich erst im Herbst festlegen. Vielleicht. Denn Frankreich, Dänemark und Niederlande zeigen sich generell skeptisch, ob die Osterweiterung nun so eine gute Idee ist.
Eigentlich haben die beiden Balkanländer ihre Hausaufgaben längst gemacht. Das bescheinigte ihnen im Mai schon die EU-Kommission. Albanien hat Maßnahmen gegen das organisierte Verbrechen und Korruption getroffen und damit begonnen, seine Justiz zu reformieren. Und Nordmazedonien hat sich im Juni 2018 zu dem historischen Schritt entschlossen, sich umzubenennen. Seit der Unabhängigkeitserklärung von Jugoslawien 1991 hatte sich das Land mit Griechenland um die Nutzung des Namens Mazedonien gestritten. Griechenland befürchtete Gebietsansprüche auf die griechische Region Makedonien – und blockierte den Start der Beitrittsverhandlungen zwischen EU und dem Balkanland, das schon seit 2005 als Kandidat gilt.
Die Umbenennung war in weiten Teilen der Bevölkerung umstritten. Die Aussicht auf eine Annäherung an Europa wog trotzdem mehr. Doch offensichtlich reichte nicht einmal diese drastische Maßnahme, um die Sache mit dem EU-Beitritt endlich ins Rollen zu bringen. So muss es vor allem Nordmazedonien als puren Hohn empfinden, dass sich die EU-Minister erst im Oktober auf ein Datum festlegen wollen, wo doch bis zuletzt von Juni die Rede war. Das muss man sich mal vorstellen: Ein Land entscheidet sich zu dem drastischen Schritt, sich umzubenennen, und trotzdem löst die EU ihr Versprechen nicht ein.
Auch Deutschland hat sich bislang mit einer konkreten Zusage zurückgehalten. Der Bundestag habe noch nicht genügend Zeit gehabt, sich mit dem Vorschlag der Kommission auseinanderzusetzen, so der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth. Doch EU-Diplomat:innen halten das Argument für vorgeschoben. Deutschland und die EU halten die beiden Länder lieber hin als ihre Versprechen tatsächlich einzulösen und damit auch ein Signal an die gesamte Region zu senden: Reformen lohnen sich! Wenn ihr euch wandelt und eure Konflikte beilegt, dann honorieren wir das auch! Gerade die Umbenennung in Nordmazedonien zeigt, welche Wirkung eine Beitrittsperspektive haben kann. Der Konflikt mit Griechenland galt als verzwickt, beide Fronten als verhärtet. Der Wunsch, zu Europa zu gehören, war aber schließlich stärker.
Ähnliche Konflikte gibt es in der Balkanregion zuhauf. Bosnien und Herzegowina ist mit seinen zersplitterten Republiken, konkurrierenden Regierungen und kroatischen wie serbischen Einmischungen ein Pulverfass. Und Serbien gilt mit seiner Forderung nach ethnisch reinen Gebieten und Provokationen in Richtung Kosovo als Aggressor, der nur schwer einzuschätzen ist. Nur zwei Beispiele, auf die die Nicht-Zusage der EU eine fatale Wirkung entfalten kann. Denn mit Blick auf Mazedonien lautet die Botschaft, die hängen bleibt, so: Selbst wenn ihr unsere Forderungen umsetzt, die schwelenden Konflikte beilegt, sogar euren Namen ändert – das interessiert uns nicht wirklich.
Während die EU den Beginn der Gespräche mit Albanien und Nordmazedonien immer wieder hinausschiebt, laufen sie mit Montenegro und Serbien bereits seit 2012 und 2014. Und das, obwohl beide Länder nicht gerade für ihren Reformwillen bekannt sind. In Serbien ist mit Aleksandar Vučić ein eiskalter Autokrat an der Macht, der Medien gleichschaltet und einen ethnischen Gebietsaustausch mit dem Kosovo vorantreibt. Trotzdem kooperiert die EU mit ihm und hält sich mit Kritik zurück. Und in Montenegro herrscht weitestgehend Stillstand, immerhin regiert die Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) seit den ersten Wahlen 1990 ununterbrochen. Beide Staaten gelten laut der NGO Freedom House nur noch als „eingeschränkte Demokratien“. Was macht das für einen Eindruck, wenn die EU Reformen nicht wie versprochen mit einer Bleibeperspektive belohnt, dafür aber mit autokratischen Regierungen über einen Beitritt verhandelt? Sicher nicht, dass sich andere Krisenherde in der Region um Entspannung bemühen.
Währenddessen bieten Russland, China und die Türkei dem Balkan eindeutigere Perspektiven an. Etwa wenn China auf dem Balkan seine Seidenstraße und damit die Infrastruktur ausbaut oder die Türkei in Albanien und Kosovo neue Mega-Moscheen errichtet. Ohnehin orientiert sich Vučić bei seinem autoritären Führungsstil gerne bei Putin. Mit ihrem Zögern schneidet sich die EU auch ins eigene Fleisch.
Natürlich kann einen der Blick nach Albanien derzeit zweifeln lassen, ob dieses Land tatsächlich bereit ist. Seit Anfang des Jahres gibt es dort immer wieder Proteste gegen den sozialistischen Regierungschef Edi Rama. Der will gerade den Präsidenten absetzen, weil dieser die anstehenden Kommunalwahlen verschieben will. Und weil das Verfassungsgericht derzeit ohne Präsident dasteht, befindet sich das Land in einer Verfassungskrise.
Doch gerade in dieser Zeit des Umbruchs sollte sich Albanien auf das Wort der EU verlassen können und wissen, dass sich etwa der Kampf gegen Korruption doppelt lohnt: für das Land selbst und für eine Annäherung an die EU. Außerdem bedeutet der Start von Beitrittsgesprächen ja noch nicht, dass Albanien morgen schon in die EU einträte. Aber der Prozess selbst, so lange er auch dauern mag, ist schon für sich wichtig.
Das Potenzial ist in Albanien besonders groß: Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung sind 93 Prozent der Menschen dort für einen Beitritt. Noch, muss man leider sagen.
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