daumenkino: Kollers „Gripsholm“
Quietsch-Idyll
Oben rattert ein quietschgelbes Propellerflugzeug am blauen Himmel. Und unten, in der schönen schwedischen Sommerlandschaft, stehen Heike Makatsch und Ulrich Noethen und quietschen ebenfalls: Das kann nur eine missratene Tucholsky-Verfilmung sein.
Denn die Geschichte um die Entstehung des Tucholsky-Romans „Schloss Gripsholm“ ist in der Version von Xavier Koller einfach zu bunt, zu glänzend, zu oberflächlich. Die Ausstattung scheint so leblos-unbenutzt wie aus einem 30er-Jahre-Museum geliehen, die Dialoge, bis auf Noethens Bonmots als Tucholsky, sind genauso unbenutzt bzw. unglaubwürdig. Die Ex-Zahnspangenpublikums-Lieblingsmoderatorin Heike Makatsch gibt sich alle Mühe, Tucholskys Geliebte Lydia der Zeit entsprechend „keck“ darzustellen. Aber ein Teenie ist nun mal kein Backfisch bzw. eine große Klappe haben heißt noch nicht, wirklich etwas zu sagen.
Apropos Klappe: Vielleicht, weil Makatschs Lippen so dazu einladen, wird viel geküsst in dem Film. Was ja an sich erfreulich ist, nur in diesem Zusammenhang erstens langweilig und zweitens die Geschichte, die biografische Elemente des Schriftstellers mit der Story aus „Schloss Gripsholm“ vermischt, teilweise auf ein schwülstiges David-Hamilton-Niveau senkt.
Etwa, wenn Kurt und Lydia Besuch von der Berliner Chansonette Billie (Jasmin Tabatabei) bekommen: Da darf der Schriftsteller in rot ausgeleuchteten Weichzeichner-Passagen sogar mal mit zwei Frauen gleichzeitig. Schön für ihn, doof für die Geschichte. Vielleicht liegt es daran, dass „frivol“ ein ähnlich altmodisches Wort wie „keck“, und Tabatabei ähnlich modern wie Makatsch ist.
Ulrich Noethen, der Comedian-Harmonists-Darsteller, schafft es mit seinem hageren Gesicht hin und wieder, die Schärfe, den nonchalanten Wortwitz und die Nachdenklichkeit Tucholskys aufblitzen zu lassen: „Man denkt oft, die Liebe sei stärker als die Zeit. Aber immer ist die Zeit stärker als die Liebe“, sinniert er. Viel zu oft schmust er allerdings mit einer oder zwei Frauen im Sommeridyll herum, spielt Billard mit Kumpel Karlchen (dem hölzernen Marcus Thomas), trinkt viel und versucht nebenbei auch noch, einen weiteren Konflikt des Schriftstellers darzustellen: Lydia will einem kleinen Mädchen aus der Nachbarschaft helfen, die von fiesen Schwestern in einem Kinderheim gepiesackt wird. Kurt ist das erst schnuppe, nach einiger Zeit entdeckt er allerdings sein Herz für Kinder und geht mit Lydia auf Rettungsmission. Das kommt im Film genauso überraschend daher, wie es hier klingt.
Dass eine klitzekleine Bediensteten-Rolle von der einzig wahren Pippi Langstrumpf Inger Nilsson verkörpert wird, macht darum auch nur traurig. Und dass der Roman „Schloss Gripsholm“, der erst 1950 herauskam, vor 40 Jahren schon mal treffsicher mit Walter Giller und Nadja Tiller verfilmt wurde, auch.JENNI ZYLKA
„Gripsholm“. Regie: Xavier Koller. Mit: Ulrich Noethen, Heike Makatsch, Jasmin Tabatabai u. a. Deutschland 1999.
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