das wird: „Es ist essenziell, dass jene zu Wort kommen, die durch die Folgen der Kolonisierung betroffen sind“
Auf dem Afrika-Festival in Altona spricht Kodjo Valentin Glaeser über strukturellen Rassismus
Von Amelie Müller
taz: Warum sollten sich weiße Menschen mehr damit beschäftigen, dass Sie weiß sind?
Kodjo Valentin Glaeser: Es ist wichtig, die Auswirkungen der Kolonialgeschichte in unserem Alltag zu realisieren. Wie sie noch immer unser Denken und Handeln beeinflussen. Als Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft ist es elementar, sich dabei der eigenen Verantwortung zu stellen. Dass beispielsweise die Ausbeutung des globalen Südens durch westliche Industrienationen unvermindert fortgesetzt wird. Aber auch, dass sich der Status quo nur so erhalten konnte, weil an Orten der Wissensreproduktion immer noch eurozentristische Perspektiven dominieren. Es ist essenziell, dass jene zu Wort kommen, die durch die Folgen der Kolonialisierung betroffen sind: Schwarze Stimmen. Das ist entscheidend, um in diesem Prozess voranzukommen.
taz: In der Wissenschaft kann man diese Verantwortung weißer Menschen mit dem Begriff „Critical Whiteness“ beschreiben. Was bedeutet er genau?
Glaeser:Übersetzt bedeutet es „Kritisches Weiß-Sein“. Es bietet die Gelegenheit, sich kritisch mit den Privilegien auseinanderzusetzen, die weißen Personen zuteil werden. Ein Beispiel: Wenn mir die Frage nach der Herkunft gestellt wird, antworte ich, dass ich aus Stuttgart komme. Dann reagiert mein Gegenüber oft genervt und fragt nach der „wirklichen“ Herkunft. In so einer Situation gilt es, als weißer Mensch Stereotype zu hinterfragen und sich kritisch damit auseinanderzusetzen, welche Vorurteile aufgrund des Weiß-Seins existieren.
Afrika-Festival mit Open-Air-Konzerten, einem Essens- und Kunsthandwerkermarkt und Workshops: Fr, 22. 8., bis So, 24. 8, Hamburg-Altona, Große Bergstraße und Bruno-Tesch-Platz
taz: Auf dem Afrika-Festival geben Sie Workshops zum Thema struktureller Rassismus und Critical Whiteness. Wie reagieren weiße Menschen, wenn man sie mit ihrer Verantwortung konfrontiert?
Glaeser: So vielfältig wie die Menschen sind, sind auch die Reaktionen. Eines sticht jedoch ins Auge: Nachdenklichkeit. Zwar kommt immer wieder dieses „Ja, aber...“ Danach kommen aber häufig Rückfragen und das Bedürfnis dazuzulernen. Es wird häufig die Frage gestellt, was sie konkret in ihrem Alltag ändern können. Das zeigt, dass immerhin ein Impuls gegeben wurde, der in die richtige Richtung geht. Wichtig ist es, einen Einblick zu vermitteln, wie der Alltag aus der Perspektive nicht weißer Menschen wahrgenommen wird, was die Folgen von strukturellem Rassismus sind und dessen Konsequenzen.
taz: Wie könnte man es schaffen, dass sich Menschen mit Alltagsrassismus beschäftigen, die sich nicht von einem Workshop angesprochen fühlen?
Glaeser: Am besten ist es, sein Verhalten in Alltagssituationen zu reflektieren, wo unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen. Sei es in der Familie, im Freundeskreis, im Sportverein oder auch am Arbeitsplatz. Ein Austausch darüber hilft oft weiter. Außerdem ist es wichtig, dass Menschen mitbekommen, was im öffentlichen Raum passiert. Wir haben in Hamburg etliche Initiativen, die hervorragende Arbeit leisten. Die sind niedrigschwellig organisiert und laden dazu ein, vorbeizukommen und sich einzubringen – und zwar alle. Außerdem sollte vermieden werden, das Thema zu akademisch zu verklausulieren. So könnte man diejenigen abschrecken, die eigentlich interessiert wären.
taz: Wie wünschen Sie sich einen Diskurs zwischen Schwarzen und weißen Menschen?
Glaeser: Wir brauchen einen Dialog und ein Miteinander auf Augenhöhe! Wir müssen die Sache vom Ende her denken und die Frage beantworten, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Nämlich in Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Würde. Und zwar für alle Menschen! Die Voraussetzung dafür ist es, den Status quo zu betrachten, ihn zu hinterfragen. Dann kann man die Vergangenheit gründlich aufarbeiten, um für die nächsten Generationen eine Welt zu schaffen, in der sie ein gutes Leben führen können.
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