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das wird„Viele Spitzenforscher taten sich schwer mit der Zäsur 1945“

Rüdiger Hachtmann berichtet über die Vergangenheitsbearbeitung der reichsdeutschen Wissenschaftseliten in der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Ohne die „Selbstmobilisierung“ vieler Forscher wären sechs Jahre Weltkrieg nicht zu führen gewesen

Interview Wilfried Hippen

taz: Herr Hachtmann, in Ihrem Vortrag schildern Sie, wie die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sich 1949 in Max-Planck-Gesellschaft umbenannte. Haben die Forscher dort einfach so weitergemacht wie vor 1945?

Rüdiger Hachtmann: Otto Hahn, Max Planck, Adolf Butenandt und viele andere Spitzenforscher der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft taten sich schwer mit Veränderungen ihrer Wissenschaftsgesellschaft über die Zäsur 1945 hinweg. Sie sperrten sich anfangs gegen die Umbenennung und wollten eine möglichst wenig veränderte Weiterexistenz der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Dass sich die Max-Planck-Gesellschaft in den folgenden Jahren und Jahrzehnten veränderte, blieb natürlich nicht aus. Anfangs aber waren die Kontinuitäten stark. Personeller Ausdruck davon ist Ernst Telschow, der 1937 Generalsekretär der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wurde, tief in das NS-System verstrickt war – und bis 1960 Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft blieb.

taz: In welchem Maße nutzen die Nationalsozialisten die Forschungsergebnisse der reichsdeutschen Wissenschaftselite?

Hachtmann: Ohne die „Selbstmobilisierung“ zahlloser Wissenschaftler – aus eigenem Antrieb, ohne Druck von NS-Seite – hätten das Hitler-Regime und die Wehrmacht nicht sechs Jahre lang einen Weltkrieg gegen eigentlich überlegene Gegner führen können. Wissenschaft und Technik waren hier so wichtig wie die Wirtschaft. Das NS-Regime hat die Forschung gezielt gefördert: Die Nazis wussten, dass man ohne eine moderne Wissenschaft und eine moderne Wirtschaft keine modernen Kriege würde durchstehen können.

taz: Gab es positive Beispiele von einzelnen Wissenschaftlern für ihre persönliche Vergangenheitsbewältigung?

Vortrag „Erinnern, verdrängen oder über­formen? Vergangenheitsbearbeitung der reichs­deutschen Wissenschafts­eliten in der bundesdeutschen Nachkriegszeit“ von Rüdiger Hachtmann. Do, 7. 8., 19 Uhr, Haus der Region Hannover, Hildesheimer Straße 18

Hachtmann: Ja. Das blieben aber Ausnahmen. In meinem Vortrag werde ich die Strategien skizzieren, mit denen sich gerade auch Spitzenwissenschaftler der Vergangenheitsbewältigung zu entziehen versuchten und sich kalkuliert ein politisch-moralisch positives Image zu verschaffen versuchten, meist übrigens lange Zeit erfolgreich.

taz: Was sind besonders frappierende Bespiele für solch ein Verdrängen?

Hachtmann: Bekannt ist Konrad Meyer, der Vater des berüchtigten „Generalplans Ost“, der zig Millionen Tote und Umsiedlungen riesigen Ausmaßes im Osten Europas vorsah. Er durfte ab den 50er-Jahren als ordentlicher Professor an der Uni Hannover lehren. Daneben könnte man zum Beispiel auch den in Hannover ja nicht unbekannten Geologen Alfred Bentz nennen. Bentz organisierte nicht nur die Ausplünderung der europäischen Erdölvorkommen in Europa unter NS-Herrschaft, er war auch für den „Arbeitseinsatz“ von Tausenden Ostarbeitern, Kriegsgefangenen und jüdischen Arbeitskräften verantwortlich.

taz: Wie war das Verhältnis dieser Wissenschaftler zu ihren während der Nazizeit emigrierten Kollegen?

Foto: privat

Rüdiger Hachtmann

geboren 1953 in Celle, Historiker und außerplanmäßiger Professor an der TU Berlin für Wissenschaftsgeschichte.

Hachtmann: Es gab kaum, oft gar keine ernsthaften Bemühungen, vertriebene Wissenschaftler nach 1945 aus dem Exil wieder in die Bundesrepublik zurückzuholen. Mehr noch als für die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gilt dies für viele Universitäten und Hochschulen.

taz: Was ist das Fazit Ihrer Forschungen zu diesem Thema?

Hachtmann: Die NS-Zeit mit ihren extrem barbarischen Menschheitsverbrechen hat Folgendes gezeigt: Die Wissenschaften besitzen keine immanenten Mechanismen, die sie von nach unseren ethischen Vorstellungen verbrecherischen Handlungen abhalten. Wir alle, also die gesamte Gesellschaft, müssen durch demokratisches Engagement, durch die öffentlich-demokratische Kontrolle der Wissenschaften dafür sorgen, dass sich solche Verbrechen nie wiederholen werden.

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