das wird: „Die Dinge haben einen Zauber“
Das Festival der Philosophie will die Philosophie zugänglich machen, nähert sich dem Heiligen
Interview Lotta Drügemöller
taz: Frau Verrone, beim philosophischen Festival in Hannover fragen Sie dieses Jahr „Was ist dir heilig?“. Das erinnert eher an den Kirchentag!
Assunta Verrone: Der Gedanke des Heiligen ist sehr alt in der Philosophie. Platon sagt uns in einem Text: „Der Anfang unserer Gesetzgebung sei nun folgender, und zwar soll er vom Heiligen ausgehen.“ Platon geht vom Heiligen aus, damit wir den Anderen besser verstehen.
taz: Ich habe das Heilige immer anders verstanden: Als etwas Absolutes, das ich nicht hinterfragen darf; das Gegenteil der Verständigung.
Verrone: Es geht darum, in den Dialog zu treten mit einer anderen Dimension. Im Internet suchen wir nur uns selbst, die Antworten, die wir wollen. Das Heilige ist das Andere. Wer sich nicht darauf einlässt, stirbt in seiner Suppe.
taz: Das Andere – also: Gott?
Nicht unbedingt. Etwas, das ihm heilig ist, hat fast jeder Mensch. Das kann die Verfassung sein, die Würde des Menschen. Aber auch die Gesundheit, die Familie. Der Tod.
taz: Ist „das Heilige“ dann nicht ziemlich beliebig?
Verrone: Nein, es ist eine Rückbesinnung auf das, was einem am Wichtigsten ist. Wir leben in einer Zeit, in der es sehr viel Zerstreuung gibt. Für das Philosophiefestival fragen wir: Was liegt in der Luft? Dann wählen wir ein Motto – meist mit einem Fragezeichen. Was ist dir heilig, das fragt danach: Was ist der Sinn des Lebens, was ist der Kern?
taz: Könnte ich „Das Heilige“ mit anderen philosophischen Begriffen ersetzen? Wie wäre es mit „das Gute“?
Festival der Philosophie „Was ist dir heilig?“ 21. Mai bis 20. Juni in Hannover; Programm unter philosophiefestival.com
Verrone: Das reicht nicht aus. Rudolf Otto aus Niedersachsen, aus Peine, hat 1917 in seinem Buch intellektuell erfasst, was das Heilige ist. Die Dinge sind nicht nur die Dinge an sich, sie haben einen Zauber, der über sie hinausweist. Für Otto war das Heilige nicht einfach etwas Gutes, für ihn war es auch etwas Schreckliches, etwas Übermenschliches. Er erschrickt davor.
taz: Otto war Theologe. Das Festival hat aber viele Referent*innen aus ganz handfesten, weltlichen Bereichen.
Verrone: Ja, wir suchen nach Antworten in vielen Disziplinen. Wir wollen auch wissen, was das Heilige in der Wirtschaft heißen könnte.
taz: Wie spielt es da rein?
Verrone: Zum Beispiel durch die Erkenntnis: Es gibt eine Hierarchie unter den Dingen. Trinkwasser ist wichtiger als eine von Menschen produzierte Ware.
taz: Haben Naturwissenschaftler*innen eine Antwort auf das Heilige?
Verrone: Sie suchen danach. Eine Referentin, Petra Schwille, ist Biophysikerin. Sie fragt, was zwischen den materiellen Dingen und dem Leben steht.
taz: Aber ich vermute, sie fragt mit den Mitteln der Physik? Die Wissenschaft geht ja selten von etwas Absolutem aus, sondern lebt davon, Erkenntnisse zu hinterfragen.
Verrone: Wir werden es nicht erleben, alle Antworten zu haben. Auch Wissenschaftler sind Menschen, die Entscheidungen treffen müssen im Hier und Jetzt. Soll ich eine Familie gründen? Der Mensch braucht etwas, das ihn leitet.
taz: Sie organisieren das Festival in Hannover jetzt schon seit 2008, ehrenamtlich. Was ist ihr Antrieb?
Verrone: Die Idee, die Philosophie wieder auf öffentliche Plätze zu bekommen, haben wir aus Modena übernommen. Wir wollten das auch für Deutschland – in den Unis ist Philosophie nicht sehr zugänglich. Aber Menschen haben doch das Bedürfnis, sich auszutauschen über große Fragen.
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