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das wird„In aller Regel glauben die Verbreiter selbst daran“

In Braunschweig führt der Amerikanist Michael Butter in die Welt der Verschwörungstheorien ein

Interview Benno Schirrmeister

taz: Ist der Ausdruck „Verschwörungstheorie“ nicht zu polemisch, um hilfreich zu sein, Herr Butter?

Michael Butter: Der Begriff wird dieses alltagssprachliche Stigma vermutlich nie los. Die wissenschaftliche Herausforderung ist, ihn genau zu definieren und möglichst wertneutral zu benutzen. Es gibt nämlich keinen anderen, um das Phänomen zu beschreiben.

taz: Was beschreibt er denn?

Butter: Verschwörungstheorien sind Erklärungen historisch politischer Vorgänge, die davon ausgehen, dass die Dinge von einer Gruppe menschlicher Akteure im Verborgenen geplant wurden.

taz: Und wie unterscheiden sich reale Verschwörung und Verschwörungstheorie voneinander?

Butter: Im Einzelfall muss man sehr genau hinschauen. Aber gewisse Unterschiede lassen sich eben doch festmachen.

taz: Welche?

Butter: Zum Einen haben wir es bei Verschwörungstheorien oft mit einer recht großen Zahl von Mitwissern zu tun, die vermeintlich den dunklen Zwecken gedient haben müssten. Wenn wir an die Geschichten um 9/11 denken, da sind wir schnell bei Gruppen von zehn-, wenn nicht gar hunderttausenden Menschen, die da irgendwie mit drin gehangen hätten. Bei realen Verschwörungen hingegen haben wir es meistens mit sehr kleinen Gruppen zu tun.

Foto: Uni Tübingen

Michael ButterJahrgang 1977, ist Professor für Amerikanistik an der Uni Tübingen und Leiter des EU-Forschungsprojekts „Populism and Conspiracy Theory“.

taz: Was noch?

Butter: Zweitens ist es so, dass es bei realen Verschwörungen in aller Regel um ein konkretes, gut eingrenzbares Ziel wie einen Staatsstreich oder die Ermordung von jemandem geht. Bei Verschwörungstheorien sind die Ziele oft deutlich grandioser. Da geht es um die Inszenierung einer globalen Pandemie oder die Weltherrschaft. Und drittens besagt die Logik der Verschwörungstheorie, dass alles geplant wurde und die Verschwörer in der Lage sind, ihre Pläne über sehr lange Zeiträume auch wirklich eins zu eins umzusetzen.

taz: Dann ist die Verschwörungstheorie eine pessimistische Theologie mit einem bösen Gott?

Butter: In Teilen ja. Das wäre im Grunde die klassische Erklärung von Karl Popper. Dessen These ist, dass Verschwörungstheorien im 18. Jahrhundert aufblühen, weil da der Glaube an den göttlichen Heilsplan schwindet, und die Leute Kontingenz, also Zufall und strukturelle Effekte, noch nicht hätten als Erklärung akzeptieren können. Deshalb wären dann die Verschwörer an die Stelle Gottes getreten.

taz: Die Urheberschaft dieser Theorien scheint meist eher unklar.

Butter: Ja, nur in seltenen Fällen können wir sagen, wer eine Verschwörungstheorie erfunden hat. Allerdings werden solche Narrative mitunter auch von Akteuren aus strategischen Zwecken popularisiert: Dann fallen Desinformation und Verschwörungstheorie zusammen.

Vortrag „Verschwörungstheorien: Eine Einführung“: Mi, 4. 12., 19 Uhr, , Theologisches Zentrum Braunschweig/Franziskussaal, Anmeldung auf thzbs.de erforderlich

taz: Sonst nicht?

Butter: In aller Regel glauben diejenigen, die eine Verschwörungstheorie verbreiten, auch selbst daran.

taz: Nur das autoritäre Grundmuster propagieren alle Verschwörungstheorien?

Butter: So eine eindeutige politische Valenz lässt sich nicht feststellen. Verschwörungstheorien sind nicht per se extremistisch oder autoritär. Sie können auch Katalysatoren für Demokratisierungsprozesse sein. Das waren sie zum Beispiel in der Geschichte der USA.

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