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das wird„Die Gedichte sind anklagender und aufwühlender“

Bei den „Poetry Debates“ im Hamburger Thalia-Theater geht es um aktuelle Lyrik – und wie sich mit ihr die Klimakrise behandeln lässt

Interview Franka Ferlemann

taz: Frau Benthien, was ist „Poetry for Future“?

Claudia Benthien: Das ist der Titel einer Sammlung, die Samuel Kramer, Spoken-Word-Künstler*in, herausgegeben hat. Sie nimmt Bezug auf die weltweite Klimabewegung Fridays for Future. Im Grunde bedeutet es, dass Lyrik sich mit der Klimakrise auseinandersetzt und dabei verschiedene Formen von Aktivismus ausprobiert.

taz: Welche Formen?

Benthien: Es gibt heutzutage viele neue Formate, die zum Teil sehr populär sind. Beispielsweise Poetry Slam oder Gedichte auf Social Media, die ein größeres und zum Teil außerakademisches Publikum erreichen. Gerade jüngere Ly­ri­ke­r*in­nen publizieren oft erst mal in den Sozialen Medien. Da werden auch andere Typen von Gedichten präsentiert, die einfacher zugänglich sind, zum Teil ein bisschen plakativer und provozierender.

taz: Ist es ein Trend, dass Texte provozierender werden?

Foto: privat

Claudia Benthien,*1965, Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Hamburg, leitet das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Poetry in the Digital Age“ (PoetryDA).

Benthien: Lyrik hat sich sehr stark diversifiziert. Aber Lyrik ist nicht allgemein provokant. Im Bereich der politischen Lyrik ist das aber ein Phänomen, das man beobachten kann.

taz: In der Veranstaltung schauen Sie sich an, wie diese Lyrik als aktivistische Praxis funktionieren kann.

Benthien: Genau. Poetry Slam steht im Kontext der sogenannten Spoken-Word-Bewegung. Es sind Texte, die auf Bühnen vorgetragen werden. Ursprünglich kommt das Format aus den USA. Die Bewegung enthielt von Beginn an sehr viele kritische und gesellschaftspolitische und interventionistische Impulse. Viele Leute, die da aufgetreten sind haben zum Beispiel Black Rights angemahnt, feministische Positionen gestärkt oder andere Minoritäten. Die politische Dimension gibt es gerade in dieser mündlichen Lyriktradition daher schon lange. In den USA ist es gang und gäbe, dass da sehr viel Aktivistisches vorgetragen wird in Form von Anklagen und Vorschlägen, wie eine gerechtere bessere Welt entstehen könnte. Das ist die Tradition, an die das hierzulande anknüpft.

taz: Was macht Lyrik aktivistisch?

Diskussion „Poetry for Future: Lyrik als aktivistische Praxis“ mit Samuel Kramer und Frieder von Ammon, Moderation: Claudia Benthien: Mi, 4. 12., 19.30 Uhr, Thalia-Theater/Nachtasyl, Hamburg

Benthien: Aktivismus bedeutet eine Form der Adressierung der Öffentlichkeit, auch zu handeln. Das ist nicht nur eine reflexive Form der Auseinandersetzung, sondern man will das Bewusstsein verändern. Die Gedichte sind anklagender und aufwühlender – man wird emotional adressiert. Das passiert, indem Texte zum Beispiel viele Fragen enthalten oder Bilder entwickeln, die einem klar machen, dass es so nicht weitergehen kann. Manchmal funktioniert das auch über nüchterne Tatsachen, wie zum Beispiel in einem Text von Samuel Kramer darüber, wie viele Spezies an einem Tag vernichtet werden. Aktivismus ist nur ein ganz kleiner Bereich der Lyrik, aber ein sehr interessanter.

taz: Mit dem heutigen Abend endet eine kleine Reihe, zumindest für das laufende Jahr – was ist deren Anliegen?

Benthien: Die Veranstaltungsreihe heißt „Poetry Debates“. Unser Ziel ist es, Wissenschaft und poetische Praxis ins Gespräch zu bringen. Am heutigen Mittwochabend wird auch Samuel Kramer vor Ort sein als Ver­tre­te­r:in des poetischen Aktivismus; und Frieder von Ammon, Literaturwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Spezialist für zeitgenössische Lyrik. Der Event ist geöffnet für das allgemeine Publikum und es wird debattiert, erst auf dem Podium und dann mit allen Anwesenden!

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