piwik no script img

das wird„Was das mit mir macht, ist nicht negativ“

Die Band „Gewalt“ geißelt sich auf der neuen Tournee weniger als einst

Interview Benjamin Moldenhauer

taz: „Ich seh die Welt schwarz schwarz“ heißt es im Refrain zum ersten Song des neuen Gewalt-Albums, das Video wirkt exzesshaft und kaputt. Ist das programmatisch für Ihre Band, Herr Wagner?

Patrick Wagner: Die Musik herzustellen und dann zu proben und auf der Bühne zu stehen, das ist hundert Prozent elektrisierend. Das hat suchtartige Züge. Wenn es nach mir ginge, würde ich jeden Tag zwölf Stunden mit meinen Leuten im Proberaum stehen. Ich würde nichts anderes machen, als mich um diese Musik kümmern.

taz: Auf der ersten Gewalt-Single wurde 2015 das Leben als Abfolge von „Arbeit, Krankheit, Tod“ besungen. Empfinden Sie selbst Ihre Musik eigentlich als negativ?

Wagner: Was das mit mir macht, ist überhaupt nicht negativ. Aber nach außen kommt da schon die Decke runter. Nur warum sollte einem das nicht ein gutes Gefühl geben? Wenn ich „Paul ist tot“ von Fehlfarben in einem Club höre und dazu tanze, gibt mir das ja auch ein gutes Gefühl. Diese Verbindung finden wir interessant. Nochmal gesteigert über das Konzert in Paris.

taz: Was war denn in Paris?

Wagner: Das war so ein Moment, bei dem ich nie gedacht hätte, den erleben zu dürfen: 400 Leute tanzen und singen mit, obwohl sie kein Wort verstehen. Dieses Gefühl wollten wir mit dem Video zu „Schwarz Schwarz“ abbilden und zeigen, wie körperlich und rauschhaft das alles ist.

taz: Die Musik ist rauschhaft, die Texte aber erzählen von Krisen. Hat das Wort „Krise“ eine Bedeutung für Sie und Ihre Kunst?

Wagner: Das ist zentral, ja. Die Krise ist das, was mich zur Musik treibt, die Musik ist eine Antwort auf die Krise. Ich kann die Krisen auch erst verstehen, wenn ich die Texte geschrieben habe. Es ist ja nicht so, dass ich mir vornehme, ein Thema aufzumachen und dann versuche, einen Text dazu zu schreiben. Ich schreibe und verstehe erst danach das Thema.

taz: Sie schreiben eher intuitiv?

Foto: Britta Pedersen/dpa

Patrick Wagner

Jahrgang 1970, Musiker, ist Gründer und Sänger der Noise-Band „Gewalt“.

Wagner: Total intuitiv. Ich schreibe drauflos, irgendwann zerfallen dann die Füllwörter und auf eine seltsame Art bleibt der Text übrig. Und dann denke ich „Aha, ja, so.“

taz: Beim Hören des Albums „Doppeldenk“ bleibt der Eindruck, dass es dem Sänger um einiges besser geht als noch vor drei Jahren. Stimmt das?

Wagner: Das ist so. Die Selbstgeißelung, die natürlich in jedem Stück immer noch drin steckt, ist viel weniger stark. Ich nehme mich schon immer mit in die Verantwortung, für jeden Text und jedes Gefühl, das da transportiert wird. Aber es dreht sich nicht mehr so um mich.

taz: Es klingt auch wesentlich zugänglicher. War das eine bewusste Entscheidung?

Wagner: Zuletzt hatte Helen einfach keinen Bock mehr, Gitarre zu spielen. Wir haben schon bei „Paradies“ angefangen, die Gitarren so zu spielen, dass sie nicht mehr wie Gitarren klingen. Das haben wir weiter verfolgt und versucht, die Gitarren zur Maschine hinzuholen. Bei mir sind fast nur noch Höhen da. Und es gibt größere Räume dahinter, bei denen man nicht mehr weiß, ist das jetzt eine Gitarre oder ein Synthie oder was auch immer. Ist aber trotzdem alles analog und live eingespielt. Es ist weniger Noiserock als früher. Wir spielen gerade eine neue Bassistin ein. Und wenn wir im Proberaum drüber sprechen, wie das klingen soll, fallen auch mal so Namen wie Prince oder James Brown …

taz: … und nicht mehr Big Black …

Wagner: … oder Melvins oder so. Solche Momente gibt es auch noch. Aber ich finde eh, dass die neuen Songs alle sehr unterschiedlich klingen.

Konzert Gewalt, 28. 11., 19.30 Uhr, MS Stubnitz, Kirchenpauerkai 29, Hamburg

taz: Das stimmt.

Wagner: Unser Produzent hat irgendwann gesagt, das sind echt zehn Singles, weil es auch alles so kleine Hits sind. Wir haben ja in den ersten Jahren nur Singles und keine Alben veröffentlicht. Mit diesem Prinzip haben wir einfach weitergemacht.

taz: In einem Interview hatten Sie gesagt, dass „Stumpfer werden“ auf dem Album „Paradies“ ganz schön widerlich sei. Gibt’ s auf „Doppeldenk“ auch ein Stück, vor dem Sie sich ekeln?

Wagner: Eigentlich nicht, nein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen