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das wird„Eine Realität, in der viele unsichtbar sind“

Das „Fluid Identity 2.0“-Festival befreit Hannovers Kultur drei Tage lang von Barrieren und Ängsten

Interview Jonas Kähler

taz: Herr Pignataro Beim „Fluid Identity 2.0“-Festival treten 100 Menschen auf, die häufig wenig Bühnenerfahrung haben. Warum laden Sie nicht einfach bekannte Künst­le­r:in­nen ein?

Lorenzo Pignataro: Wir haben die Beobachtung gemacht, dass bei Festivals die Künst­le­r:in­nen vor allem aus den großen Städten kommen, dass aber Hannover eine Stärkung der eigenen Szene braucht und, dass wir genau diese Strukturen aufbauen müssen. Das schaffen wir nicht, wenn wir uns als dreiköpfiges Kuratorium hinsetzen und ein klassisches Festivalprogramm auf den Tisch klatschen.

taz: Wie konnten Sie so viele Menschen dazu ermutigen, ihre Kunst zu präsentieren?

Pignataro: Wir bieten ja ganz besondere Räume an, sind diskriminierungskritisch und diskriminierungssensibel. Bestimmte Arbeits- und Produktionsweisen wurden garantiert, Safer Spaces und ein bestimmter Standard des wertschätzenden und respektvollen Miteinanders. Wir haben es gar nicht bewusst so groß gemacht, sondern im Prozess hat sich eine Art Schneeball-Effekt gezeigt, dass unglaublich viele Menschen, die schon lange im stillen Kämmerlein Musik machen, sich plötzlich angesprochen fühlten, auch von dem Setting, das wir hier anbieten.

taz: Das Programm wurde in Workshops seit Monaten kollektiv erarbeitet. Wieso dieser partizipative Ansatz?

Pignataro: Wandel kann nur passieren, wenn wirklich Partizipation auf hohem Niveau zugelassen wird. Barrieren abzubauen, das war uns wirklich eine Herzensangelegenheit. Egal, ob wir eine fundierte Ausbildung haben oder eben nicht, wir haben alle das Recht, uns künstlerisch auszudrücken. Es ist wichtig, keinen Leistungsdruck aufzubauen und zu sagen, ihr müsst jetzt das und das machen.

Lorenzo Pignataro

Choreograf, leitet und kuratiert das Fluid Identity 2.0-Festival zusammen mit Nassima Galalou und Leyla Ercan.

taz: Und diese Niedrigschwelligkeit wurde positiv aufgenommen?

Pignataro: Was deutlich geworden ist: Wir haben eine neue postmigrantische Gesellschaft, eine neue Realität, in der viele Menschen aber unsichtbar sind und nicht teilhaben können oder wollen. Wir haben tolle Leute entdeckt, talentierte Künstler:innen, die sich nie als solche begreifen würden, aber zu Hause Kunst und Kultur machen. Die haben erst mit einem kleinen Stupser, mit Empowerment und Ermächtigung, mit viel Community-Wärme den Mut gefasst, rauszutreten.

taz: Sobald entsprechende Räume und Strukturen geboten werden, ermöglicht es also mehr Menschen, an Kunst und Kultur teilzuhaben?

Pignataro: Genau. Und dieses Signal braucht es. Es braucht ein diverses Team, diskriminierungssensibel, das auch nach bestimmten Standards und Werten arbeitet und eine bestimmte Kultur garantiert. Dann kommen die Menschen. Und das gibt es in den großen Kultureinrichtungen eben häufig noch nicht so.

taz: Die erreichen viele Menschen nicht.

Festival „Fluid Identity 2.0“, mit Tanz, Musik, Theater, Standup-Comedy uvm., 3. bis 5. 10. Kino im Künstlerhaus, Cumberlandsche Galerie und Kulturzentrum Pavillon, Hannover. Eintritt ist frei. Programm online auf hannover.de

Pignataro: Teilhabe ist ein Menschenrecht. Jeder Mensch sollte an Kultur teilhaben können und das ist in Deutschland eben nicht der Fall. Es sind die Freizeitvorlieben der Eliten, die sehr stark unterstützt werden durch staatliche Förderung von Kultureinrichtungen. Und dieses Geld fließt nicht fair an alle zurück, das muss man ganz einfach so sagen. Wir fordern, dass dieses Menschenrecht eingelöst wird und wir genauso in den Genuss kultureller Förderung und Teilhabe kommen, wie Menschen der Mehrheitsgesellschaft.

taz: Auf dem Festival werden verschiedenste Darbietungen zu sehen sein, von Tanz, über Theater bis Standup-Comedy…

Pignataro: Wir arbeiten bewusst transdisziplinär. Wir erproben, lernen, wir machen Experimente, weil wir diese disziplinären Grenzen sprengen wollen. Und das hat einen eindeutigen Grund. Wir wollen den Menschen auch die Angst vor dem vermeintlich notwendigen Wissen über Genres oder Kunstsparten nehmen, die Angst vor dem Scheitern. Wir tanzen ohne Ballettausbildung und wir musizieren, ohne je eine Musikschule von innen gesehen zu haben. Das heißt, unser Qualitätsbegriff ist ein anderer – nämlich zugänglich für Menschen zu sein, weg von diesem Leistungsgedanken.

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