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das wird„Wer als Erster spricht, dem wird meist geglaubt“

Lydia Lewitschs Debütroman „Der Fall Miriam Behrmann“ verhandelt den Vorwurf psychischen Missbrauchs im Universitätsmilieu

Interview Petra Schellen

taz: Frau Lewitsch, in Ihrem Roman bezichtigt eine Doktorandin ihre Professorin des psychischen Missbrauchs. Ist das eine „Hexenjagd“?

Lydia Le­witsch:So würde ich es nicht formulieren, weil das implizieren würde, dass Selina, die sich wegen des Leistungsdrucks beschwert, die Täterin ist und ihre Professorin Miriam das Opfer. Das Problem ist komplexer: Wie definieren wir psychischen Missbrauch? Kann ein hoher Leistungsanspruch, der stringent durchgesetzt wird – in diesem Fall die Promotion, die in den vier vereinbarten Jahren nicht gelang – in psychischen Missbrauch umschlagen? Die Professorin sagt, sie habe Selina fördern wollen. Wobei sich beide – Selina mit türkischem, Miriam mit polnischem Migrationshintergrund – anfangs positiv gegenüberstanden. Wie das kippen konnte, ist eine interessante Frage.

taz: Die­se Frage reflektiert Miriam, aus deren Perspektive der Roman erzählt wird, gründlich.

Lewitsch:Ja. Und als Philosophie-Professorin geht sie davon aus, dass psychischer Missbrauch etwas objektiv Feststellbares ist, weshalb sie ihn analytisch zu widerlegen versucht. Ihr Ehemann, gleichfalls Philosoph, meint aber: Diese Begriffe handeln wir immer wieder neu aus. Frei nach Kant könnte man sagen: Missbrauch bedeutet, jemanden nur als Mittel zum Zweck zu betrachten und nicht als Zweck an sich. Denn wir müssen auch die Lebensentwürfe des anderen im Blick haben.

Buc­h­vorstellung „Der Fall Miriam Behrmann“,Fr, 27. 9., 19 Uhr, Staats- und Universitäts­bibliothek Hamburg, Von-Melle-Park 3

taz: Hat Miriam das?

Lewitsch:Jedenfalls nicht genügend. Miriam selbst hat den Leistungsgedanken verinnerlicht, während sich Selina auch politisch engagiert und ihrer Familie im Alltag hilft. Andererseits hat die Professorin die Pflicht, die Doktorandin so zu betreuen, dass die Promotion ermöglicht wird. Miriams Leistungsanspruch empfindet Selina als Aufzwingen eines Lebensentwurfs.

taz: Als Selina die Sache öffentlich macht, glaubt man ihr unbesehen. Ein Spiegel unserer „Debattenkultur“?

Lydia Lewitsch

Jg. 1976, wurde in Polen geboren und lebt seit 1979 in Deutschland, ist Germanistin und Philosophin. „Der Fall Miriam Behrmann“ (Frankfurter Verlagsanstalt, 256 S., 24 Euro) ist ihr Debütroman. „Lydia Lewitsch“ ist ein Pseudonym.

Lewitsch:Ja. Wer als Erster spricht, dem wird meist geglaubt. Der Anlass – nicht der Grund – für diesen Roman war, dass ich einen Bericht über eine deutschsprachige Uni las, wo eine Professorin ihre Doktorandin psychisch missbraucht haben sollte. Sie habe ihr das Gefühl gegeben, unfähig zu sein. Als ich das las, war ich empört und hoffte, dass die Professorin sanktioniert und solche Praktiken abgestellt würden. Monate später schrieb dieselbe Zeitung, dass die aus Sorge um den Ruf der Uni sofort suspendierte Professorin sich nicht habe äußern können und dass sich die Vorwürfe nicht erhärtet hätten. Da drehte sich auch meine Meinung, und ich war überrascht, wie schnell man einem Narrativ aufsitzt. Diese Grauzone lotet mein Roman aus.

taz: Warum haben beide Figuren einen migrantischen Hintergrund?

Lewitsch:Einerseits, weil im Zuge des kreativen Prozesses Selina und Miriam „fertig“ in meinem Wohnzimmer standen. Andererseits – und das ist das eigentliche Anliegen des Buchs – weil die polnische Professorin für eine Gruppe von MigrantInnen steht, die sich durch Trennung von Familie und Herkunftsland, durch enorme Leistung hierzulande einen Platz erkämpft haben. In Deutschland leben über zwei Millionen Menschen mit polnischem Migrationshintergrund. Das ist die zweitgrößte Gruppe nach den Menschen mit türkischen Wurzeln. Aber die polnischstämmigen MigrantInnen – nicht nur Putz- und Pflegekräfte, sondern auch ÄrztInnen, ProfessorInnen, UnternehmensberaterInnen – werden kaum wahrgenommen. Ich finde, dass dieser Gruppe die Stimme fehlt und dass sie einen wichtigen Platz in der deutschsprachigen Literatur bekommen sollte.

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