piwik no script img

das wird„Wie wir erinnern, zeigt sich immer im Stadtbild“

Im früheren Völkerkundemuseum in Hamburg zeigt Helena Cing Deih Sian, wie postkoloniales Erinnern umgesetzt werden kann

Interview Johanna Weinz

taz: Frau Cing Deih Sian, was hat kollektives Erinnern mit Stadtplanung zu tun?

Helena Cing Deih Sian: Der Begriff Kollektiv lässt sich als Synonym für Gesellschaft verstehen. Die Frage ist aber, welche Gesellschaft gemeint ist. Es geht um die kritische Frage, für welche Menschen eine Stadt gestaltet wird, wenn die Stadtplanung Orte schaffen möchte, an denen sich Menschen wohlfühlen und die zugänglich sein sollen. Für mich ist Erinnerungskultur ein Werkzeug, alle Menschen miteinzubeziehen.

In „Beinginplace“ haben Sie Orte in Myanmar kartiert, um an diese zu erinnern. Warum?

Die Frage, wie mit „Heritage“, städtebaulicher Erinnerungskultur umgegangen wird, woran erinnert wird und woran nicht: Das habe ich in Myanmar untersucht. Heritage kann als Soft Power, als ein Machtwerkzeug gesehen werden. Das wird von der Regierung dort genutzt: Nationalgeschichte wird im städtischen Leben einseitig dargestellt. Dissonanzen werden nicht thematisiert. Gebäude, die eine andere Perspektive abbilden, werden zerstört, vernachlässigt oder verfallen zu Ruinen, dadurch entstehen geschichtliche Leerstellen. Ich habe versuchts, dagegen an- und aufzuarbeiten.

Wie genau?

Ich habe Orte, die für Freiheit und zivilen Widerstand gegen den Faschismus stehen, in der ehemaligen Hauptstadt von Myanmar, Yangon, kartiert: die Universität, das Rathaus oder Pagoden, die von staatlicher Seite keinen Denkmalschutz erfahren. Daraus ist ein digitales Archiv entstanden, das an die Menschen erinnert, die Widerstand geleistet und nie Anerkennung erfahren haben. Menschen, die aus Myanmar geflüchtet sind, können heute über die Website eigene Beiträge hinzufügen.

Und warum das alles in Myanmar?

Gespräch „Postkoloniales Erinnern in der Stadt“ mit Helena Cing Deih Sian, Sabine Hansmann (Hafencity-Universität Hamburg) und Kurator Méhéza Kalibani: heute, 18–19.30 Uhr, Hamburg, Museum am Rothenbaum, Kulturen und Künste der Welt (Markk)

Ich bin dort geboren. Myanmar ist aber auch ein multiethnisches und politisch sehr bewegtes Land. In meiner Arbeit habe ich mich mit der Zeitspanne von 1948, der Unabhängigkeit, bis 2021, als ein Militärputsch stattgefunden hat, beschäftigt. Die Proteste und der zivile Ungehorsam insbesondere im Militär haben mich bewegt.

Wie lässt sich kollektives Erinnern auf eine Stadt wie Hamburg übertragen?

Der Hamburger Senat hat im Mai gerade eine Agenda „Hamburg dekolonisieren!“ veröffentlicht, das ist ein großes Statement. Um das umzusetzen, dürfen nicht nur die gleichen Personengruppen, sondern müssen auch Minoritäten strukturell miteinbezogen werden. Wie wir erinnern, zeigt sich immer in unserem Stadtbild.

Wo sehen Sie heute Spuren des Kolonialismus?

Gehäuft im Hafenbereich: Die Gründung der Hafencity verdeutlicht, dass das Bewusstsein, Hamburg zu dekolonisieren, nicht ausreichend angekommen ist. Straßennamen und Plätze wie der Marco-Polo-Platz sind wenig kontextualisiert. Es ist aber wichtig, dass thematisiert wird, woher das Erbe und der Reichtum Hamburgs kommen. Wenn man durch die Hafencity läuft, wird Geschichte noch einseitig dargestellt: Hamburg als das Tor zur Welt; zu groß der Euphemismus.

Foto: privat

Helena Cing Deih Sian

*1994, hat Architektur und Stadtplanung studiert. Sie ist Gründerin von „Beinginplace“, einem digitalen Archiv, das kollektive Erinnerungslücken füllen will.

Wie kann das stadtplanerisch geändert werden?

Der Arbeitskreis Hamburg Postkolonial bemüht sich, ganzheitlich die Geschichte hinter einem denkmalgeschützten Gebäude zu kontextualisieren – mit von der Stadt angelegten blauen Tafeln. Geschichte aufzuarbeiten hat immer mit Macht und Teilhabe zu tun. Schlussendlich geht es aber nicht nur um das Kommentieren eines Straßennamens, sondern um den gesamtgesellschaftlichen Prozess dahinter.

Das bedeutet?

Am Ende ist der Straßenname ein mögliches Indiz für einen Paradigmenwechsel. Es geht um eine zeitgenössische Diskussionskultur, inklusive Ex­per­t:in­nen und Zivilgesellschaft. Das Bedarf viel Kommunikation und Bildungsarbeit. Das verstehe ich unter einer partizipativen Erinnerungskultur: Historische Leerstellen werden sichtbar gemacht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen