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das wird„Ärmere sind brutaleren Leben unterworfen“

Olivier David über die Zusammenhänge von Klassenzugehörigkeit, Einsamkeit und Emotion

Interview Jonas Kähler

taz: Olivier David, sind Sie Teil der „namenlosen Menge“?

Olivier David: Ja, insofern, als ich mich als Schriftsteller der Ar­bei­te­r*in­nen­klas­se bezeichnen würde. Mein Betrachtungsgegenstand ist die Klassenfraktion, aus der ich komme. Als Schreibender unterliege ich nicht denselben Produktionslogiken wie Menschen in Armut, aber ich versuche mein Schreiben in den Dienst einer Literatur zu stellen, die von diesen Menschen und Schicksalen erzählt. Ich glaube, es ist ein Problem zeitgenössischer Klassenliteratur, dass Klasse als etwas gilt, was überwunden und hinter sich gelassen werden kann. In meinem Leben bemerke ich aber, dass ich das nicht kann.

Wo zeigt sich das?

Einmal auf einer finanziellen Ebene: Nur weil ich jetzt Kulturarbeiter bin, heißt das nicht, dass ich davon ein gutes Auskommen habe. Aber auch auf der Ebene meiner psychischen Kapazitäten oder meiner körperlichen Gesundheit, mit der ich immer wieder Probleme habe. In der Klassenliteratur wird häufig nach dem geschaut, was einen von der sozialen Klasse trennt. Ich habe geschaut, was mich verbindet.

Was haben Sie gefunden?

Ich bin auf allerhand gestoßen. Vom Körper, unter dem Menschen in der Armutsklasse leiden, weil sie gezwungen sind, ihren Körper als Ressource für den Wohlstand der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Aber auch in psychischer Hinsicht: Menschen in der Armutsklasse sind einfach brutaleren Leben unterworfen sind.

Anhand Ihrer eigenen Biografie beschreiben Sie, wie Klasse, Wut und Einsamkeit zusammen hängen.

Olivier David

*1988 in Hamburg, war Kellner, Lagerarbeiter und Malerhelfer. Quereinstieg in den Journalismus mit 30 Jahren. „Von der namenlosen Menge“ (Haymon, Innsbruck 2024, 176 S., 22,90 Euro; E-Book 17,99 Euro) ist sein zweites Buch.

Ich würde behaupten, dass es etwas wie Klassengefühle gibt: Wut und Einsamkeit sind Gefühle, die meiner Klasse gewissermaßen inhärent sind – und damit auch der Klasse, für die ich schreibe. Je ohnmächtiger man sich als Mensch fühlen muss, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese Ohnmacht zu anderen Mechanismen führt.

Ar­bei­te­r*in­nen­ sind ohnmächtig?

Nicht die ganze Klasse, aber Ohnmacht ist darin ein weit verbreitetes Gefühl. Das sieht man an der Wahlbeteiligung, aber auch daran, wem politisch Vertrauen geschenkt wird: Da besteht einfach ein Interesse, den Strukturen der Herrschaft eins auszuwischen.

In welchen Gefühlen äußert sich das?

Das kann Wut oder Hass sein, es kann aber auch Einsamkeit sein. In der unteren Klasse ist Einsamkeit weiter verbreitet. Sowohl der individuelle Rückzug, als auch der politische Rückzug. Durch die verweigerte Beteiligung versucht man die Institutionen zu strafen; man sagt: „Ich erkenne euch nicht an.“

Lesungen: Di, 4. 6., 19 Uhr, Quartier Theater, Hannover;

Mi, 5. 6., 19 Uhr, Holbornsches Haus, Göttingen

Wie ist das mit der Wut?

Ich bin mit Gefühlen großer Wut sozialisiert und würde behaupten, dass ich damit nicht alleine bin. Es ist doch sehr wahrscheinlich, dass Menschen in Armut wütend sind. Und dann straft man sie auch noch für ihre Wut, die sie gar nicht haben müssten, wären sie in einer anderen sozialen Position – eine doppelte Bestrafung.

Ist diese Wut destruktiv?

Wut hat ein absolut emanzipatorisches Potential. Natürlich ist Wut erst einmal etwas, was man nicht gerne fühlt und worunter Menschen auch leiden. Gleichzeitig glaube ich auch, dass es Sinn ergibt, die Wut zu rehabilitieren. Wir müssen aufhören, über diese Wut moralisch zu urteilen, sondern eher sehen, woher sie kommt – und die Gründe dafür abschaffen.

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