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das wirdFreier Lärm

Die politische Jazz-Band Irreversible Entanglements ist zu Gast in der Elbphilharmonie

Von Jan Paersch

Diese Musik ist nervös, monoton, höllisch schnell, unbarmherzig, schmerzhaft. Aber sie ist auch: lebensbejahend, feurig, berührend, rhythmisch und: wunderschön.

Saxofon, Trompete, Bass, Schlagzeug und Sprechgesang, das ist die Besetzung der US-Band Irreversible Entanglements. Ihre Albumtitel bestehen oft aus kraftvollen Imperativen. „Open the Gates“ hieß es 2021 und zuletzt 2023: „Protect Your Light“.

Für Titel und Texte ist eine Frau zuständig: Camae Ayewa. Die Musikwelt kennt sie als Moor Mother. Ihre Kompositionen, die sie als „Black Ghost Songs“ bezeichnet, vertont sie mit Versatzstücken aus Punk und Rap – mit jazziger Attitüde.

Hilflose KritikerInnen bemühen da zumeist die Kategorie „Free Jazz“ – und wer denkt da nicht an Lärm und endlose schrille Soli? Irreversible Entanglements sind frei, und sie machen Lärm. Aber sie sind vor allem politisch.

Ihre Musik sei eine „melancholische Erkundung der postkolonialen Trümmer, die uns umgeben“, so die Band. Die Takes dauern mitunter 20 Minuten und verhandeln dabei zwischen Trompetenfanfaren und grummelndem Kontrabass Themen wie Migration, Rassismus, Vertreibung und Gewalt. Sie empfinde dabei niemals Wut, sagte Moor Mother der Kritikerin Maxi Broecking: „Ich mache Musik über das, was mir wichtig ist, und was ich teilen möchte. Und das sind die Geschichten von Frauen.“

In der Kunst von Moor Mother vermischen sich Gegenwart und Vergangenheit. In dem bemerkenswerten Stück „Homeless/Global“ klagt sie einerseits die „Rabbit Holes“ der sozialen Medien an, besingt den Albtraum einer Flucht übers Meer und erinnert an fast vergessene Verbrechen wie das „Black Wall Street Massacre“ von 1921, bei dem ein weißer Lynchmob in Oklahoma bis zu 300 meist Schwarze Menschen ermordete.

Konzert „Protect Your Light“, Irreversible Entanglements feat. Moor Mother, Hamburg, Elbphilarmonie, Kleiner Saal, 29. 5., 20.30 Uhr

Musikalisch widmet sich Ayewa Ideen, die sich für sie organisch anfühlen: „Ich erinnere mich noch daran, wie sehr ich Musik machen wollte, aber niemanden kannte. Um eine Band zu gründen, brauchst du Freunde!“ Das Gründungsmoment von Irreversible Entanglements hatte weniger mit Freundschaft als mit politischer Haltung zu tun: Ayewa, Saxofonist Keir Neuringer und Bassist Luke Stewart lernten sich in der Hardcore-Experimental-Szene Philadelphias kennen und organisierten basisdemokratische Aktionen. Im April 2015 reisten sie gemeinsam nach New York City, um an der Demonstration „Musicians Against Police Brutality“ teilzunehmen. Direkt nach ihrem Auftritt spielte ein Duo, bestehend aus Trompete und Schlagzeug. Aquiles Navarro und Tcheser Holmes waren mit ihren afro-karibischen Wurzeln und ihrem erstaunlichen Mix aus Jazz, Elektro und Latin-Einflüssen der „Missing Link“ für den harschen Noise-Sound der drei aus Philadelphia. Irreversible Entangle­ments waren geboren.

„Wir spielen keine Songs“, sagt Bassist Stewart. „Wir sind eine improvisierende Band.“ Zwar bringe Camae vorgefertigte Gedichte mit, über die diskutiert würde. Aber was daraus entsteht, „alles, was du hörst, kommt aus dem Moment“.

Irreversible Entanglements anno 2024 – das ist noch immer eine Herausforderung. Und doch trifft hier die Freiheit der Haltung auf einen mit der Zeit offenbar stärker ausgeprägten Willen, tanzbare Musik zu spielen, sodass die Band nun weniger schroff und avantgardistisch als früher klingt. Auch New-Orleans-Bläser und brasilianische Samba-Grooves haben ihren Platz. Und nicht mehr jeder Moor-Mother-Text ist politisch. In „Free Love“ stöhnt die Künstlerin beinahe lustvoll: „ I want more love.“

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