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das wird„Manchmal haben sie plötzlich ganz viel zu sagen“

Was wir von den stummen Mitwesen lernen können: Juliana Oliveiras Performance „Best of: Baum“ hinterfragt den menschlichen Blick aufs pflanzliche Leben

Interview Robert Matthies

taz: Frau Oliveira, was ist denn ein „Drag Tree“?

Juliana Oliveira: Ich benutze diesen Begriff, weil Drag-Personen sich eine Zuschreibung aneignen und Stereotype überspitzen, um damit zu spielen und daraus ein überzeichnetes Bild zu schaffen.

Sie überzeichnen den Baum?

Aber nicht den natürlichen, sondern den, den wir im Kopf haben. Wir überspitzen, was wir Bäumen kulturell zuschreiben.

Welche Bilder verbinden wir denn mit ­ihnen?

Im Theater das Bild, dass Bäume nur stumme Nebenrollen oder schmückende Kulisse sind. Aber es gibt viele Bilder: zum Beispiel, dass sie alt sind und weise oder dass sie mit einer Piepsstimme sprechen; dass sie nicht viel tun: sich nicht bewegen und eine langsame Zeitlichkeit haben. Manchmal sind sie auch ganz böse.

Werden Bäume in diesen Bildern, die sich der Mensch von ihnen machen, zu so etwas wie fühlenden Mitwesen – pflanzlichen Aspekten des verzweigten menschlichen Lebens?

Sie sind Zeugen menschlicher Taten und Untaten. Sie hören zu, sie hören sich unsere Probleme an, manchmal haben sie auch viel zu sagen, ganz plötzlich.

Foto: Simone Scardovelli

Juliana Oliveira

geboren 1985 in Portugal, ist Performerin und Theatermacherin in Hamburg. Ihre interdisziplinären Arbeiten sind geprägt von der Faszination für das Brutale und Absurde und einer Mischung aus Theatralik und Minimalismus.

In Ihrem Stück sollen Bäume nicht länger bloß Hintergrunddarsteller sein, sondern Hauptrollen spielen. Wie rücken Sie sie ins Rampenlicht?

Wir machen ein Stück über Bäume im Theater, aber dort können sie ja nicht wirklich sein. Ich habe mich also damit auseinandergesetzt, wie Bäume in Filmen, in Musik, in Texten oder in bildender Kunst auftauchen, zum Beispiel in Samuel Becketts Theaterstück „Warten auf Godot“, in Ovids Metamorphose „Pyramus und Thisbe“ oder in Händels Arie „Ombra mai fu“ – ein Liebeslied für eine Platane.

Sie schreiben, Ihr Stück widme sich der „existenziellen Frage, wie wir die Interessen von Pflanzen vertreten können“. Geht das denn – und wie?

Wir haben das immer als Frage mitgenommen, als Problem, es bleibt eine interessante Herausforderung. Wie können wir die Interessen des vegetativen Lebens verteidigen, wenn Bäume und Pflanzen nicht über die Fähigkeit verfügen, selbst zu sprechen und für sich selbst einzutreten? Kann ich sie überhaupt vertreten und wenn ja, wie?

Bäume berühren Menschen mitunter sehr: „Mein Freund, der Baum“, den man auch mal umarmen geht. Und was etwa die Romantiker nicht alles mit dem Wald verbinden! Spielt diese Sehnsucht nun auch bei Ihnen eine Rolle?

In unserem Stück berühren Bäume durch die Musik, die über sie geschrieben wurde, durch ihre Langsamkeit und Beharrlichkeit, durch Kostüme, und durch die Worte, die wir ihnen in den Mund legen. Wenn wir uns wirklich von den Bäumen berühren lassen wollen, müssen wir natürlich woanders hingehen als ins Theater: raus.

Performance „Best of: Baum“: Sa, 13. 5.; So, 14. 5. (anschließend Vortrag und Gespräch); Do + Fr, 18. + 19. 5., Hamburg, Lichthof-Theater

Und „von den Bäumen lernen, im Leben zu stehen“: Was bedeutet das?

Wenn ich moralisch sein darf: Dass wir uns ein bisschen zurückziehen sollten, darin sind Bäume sehr gut. Das Projekt begann vor einigen Jahren, als ich merkte, dass ich Bäume und meine Abhängigkeit von ihnen gar nicht wahrnehme. Mittlerweile habe ich gelernt, dass es diesen Begriff der Pflanzen-Blindheit gibt …

… verstanden als eine Art kognitiver Voreingenommenheit, als Tendenz des Menschen, Pflanzen zu ignorieren …

… der wiederum wegen der Verwendung des Begriffs „Blindheit“ kritisiert wird. Ich habe mich dann mit meiner Ignoranz auseinandergesetzt und festgestellt, dass ich Bäume auch beneide, ihrer Sinnhaftigkeit wegen. Was machen wir Menschen, was tun wir hier auf dieser Welt? Das ist für Bäume ein bisschen klarer als für uns. Sie sind da und tun nichts, und zugleich tun sie total viel und sind in ihrer Wesenhaftigkeit sehr klar. Und wir hampeln rum und suchen krampfhaft nach Sinn. Also: Wir sollten ein bisschen zurücktreten und stehenbleiben.

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