das wird: Ein Matrose wird gejagt
Die Stadt hat ihre Rolle: Der vergnügliche New-Wave-Film „Tscherwonez“ ist ein paar Mal in Hamburg zu sehen, wo er auch spielt
Von Alexander Diehl
In einem großen amerikanischen Auto umkreist ein Mann den Hamburger Fernsehturm: übers Heiligengeistfeld am noch unbegrünten Hochbunker vorbei und an lange verschwundenen Gewürzfabriken, hält er schließlich vor maroden Wohnhäusern im Karolinenviertel, die zur selben Zeit aber auch in Kreuzberg vor sich hinbröckeln hätten können. Als er aussteigt, hat der Mann ein Messer bei sich, einen krummen Dolch eher, eingewickelt in eine Zeitung. Wenig später zeigt sich auch, wessen Blut damit vergossen wird.
In Schwarz-Weiß und schon deshalb an die französischen Nouvelle Vague erinnernd, ließ Gabor Altorjay 1982 seinen Spielfilm „Tschwerwonez“ eröffnen. Innercineastische Anspielungen gibt es dann noch reichlich in den folgenden anderthalb Stunden, am deutlichsten sind die Verweise auf Sergej Eisenstein und seinen „Panzerkreuzer Potemkin“. Dass wir es mit einer russischen, 1982 genauer: sowjetischen Thematik zu tun haben, ruft uns ja schon der Titel dieser obskuren New-Wave-Komödie zu: Die titelstiftenden Goldmünzen, bis Mitte der 1980er-Jahre sogar offizielles Zahlungsmittel, bekommen wir recht früh zu sehen: vom sowjetischen Matrosen Dimitrij (Tom Dokoupil) mitgebracht in, tatsächlich, so einer hölzernen Matrjoschka-Puppe-in-der-Puppe.
Tscherwonez. Regie: Gabor Altorjay. Mit Tom Dokoupil, Sheryl Sutton, Eva Buchmüller u. a., Deutschland 1982, 97 Min.
Vorstellungen: Do, 20. 4., So, 23. 4., + Di, 25. 4., Hamburg, Abaton
„Der Besuch im Viertel organisierter Prostitution“, ermahnt der Offizier aus dem Lautsprecher, „ist ein widerliches Produkt des Kapitalismus!“ Denn es steht Landgang an, für manchen an Bord ist es der erste im dekadenten Westen: Die Matrosenkinne sind rasiert, die Schuhe gewienert, und immer mit dabei ist das Männlein mit Hut und Regenmantel und der Prawda in der Tasche. Dem KGB-Aufpasser zum Trotz: Ausgerechnet in der fremdelnd aufgesuchten Filiale eines imperialistischen Bürger-Filialisten gelingt die Flucht, denn Dimitrij ist auf der Suche nach seinem Bruder, der sich so lange nicht mehr gemeldet hat.
Wie er dabei zwischen allerlei Fronten gerät, das erzählt Regie-Debütant Altorjay, eigentlich in anderen, mit „Fluxus“ beschrifteten Ecken der Kunst zugange, sehr vergnüglich in diesem Film mit Ideen für mindestens anderthalb. Die Stadt, damals noch herrlich ungentrifiziert – oder Ostblock-esk trüb und grau – spielt ihre eigene Rolle, ebenso der quirlige Soundtrack der – wohlgemerkt: Limburger – Neue-Welle-Band „The Wirtschaftswunder“ (deren Sänger Hauptdarsteller Dokoupil ja auch war). Wie die Hatz auf den abgefallenen Matrosen ausgeht, ist dabei eigentlich gar nicht wichtig.
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