piwik no script img

das wird„Bei uns geht es wie in Sci-Fi in eine andere Richtung“

Ursina Tossis Ensemble eignet sich den Klassiker „Schwanensee“ queerfeministisch an

Ursina Tossi 49, ist Tänzerin und Choreografin und verknüpft in ihren Arbeiten Tanz, politischen Diskus und intensive Körperlichkeit.

Interview Robert Matthies

taz: Ursina Tossi, warum ausgerechnet „Schwanensee“, das berühmteste Ballett der Welt?

Ursina Tossi: Es gab in Gesprächen mit Kolle­g*in­nen schon länger die Idee, sich mit dem Tanzerbe auseinanderzusetzen. Ich hätte mir nicht unbedingt „Schwanensee“ ausgesucht, das ist beim Rotwein entstanden. Aber dann habe ich recherchiert und fand es super interessant, genau mit so einem Stück zu arbeiten, das eine Popikone ist, aber niemand hat es gesehen. Von uns hatte es nur unser einziger weißer cis-Mann gesehen, der eine ballettlastige zeitgenössische Ausbildung hat. Alle anderen kannten nur „Black Swan“ …

… den Psychothriller von 2010, in dem ein New Yorker Ensemble Tschaikowskys Ballett neu inszeniert.

Genau. Das fand ich bald so klasse, weil das so ein klassistischer Zugang zum Stück ist. Ich habe dann gedacht: Lass uns doch mit diesen Perspektiven und Vorstellungen davon arbeiten, was Schwanensee sei, was es dann vielleicht gar nicht wirklich ist. Und wir haben es geschafft, dass es sehr perspektivenreich geworden ist und zugänglich, popkulturlastig. In dem Projekt sind zehn Leute versammelt, die sehr unterschiedliche Ausbildungshintergründe und kulturelle Herkünfte haben und unterschiedliche Tanzstile vertreten.

Sie schreiben also das Stück nicht um, sondern eignen sich die darin steckenden Spannungen an?

Doch, wir schreiben es schon um. Wir haben dabei mit jenen Sachen gearbeitet, die frei zugänglich sind, also von allen recherchierbar. Nur für ein Video habe ich Geld ausgeben, für eine Ballettversion vom „Schwanensee“ von 2020, um auch mal zu sehen, was sie damit jetzt so machen, immer noch. Alles andere stammt von Youtube und anderen Plattformen, die das so in Häppchen freigeben.

Die Zugänglichkeit war schon bei Ihren letzten Stücken ein wichtiges Thema. Auch diesmal gibt es eine Audiodeskription.

Ja, es gibt auch wieder vorher eine „Touch Tour“ und eine Einführung in Gebärdensprache. Es ist ein tauber Tänzer auf der Bühne, der vom Hip-Hop kommt. Dem haben wir eine Interpretationsfreiheit gegeben: So wie du das Stück siehst, ist das total cool, sag das einfach so. Darin stecken auch viele Freiheiten, die nicht für alle gleich verständlich werden, weil eben nicht jeder Gebärdensprache lesen kann.

Ausgehend von diesen unterschiedlichen Zugängen setzen Sie sich dann mit den Liebes- und Überwältigungs-Narrativen und den Aneignungspraktiken des Balletts selbst auseinander?

Ja, diese Narrative von Liebe und Beziehung, das ist der Kernpunkt, den wir aus dem Plot genommen haben. In unserem Stück gibt es aber keine Hetero-Beziehung. Wir haben uns zum Beispiel alle Pas de deux angesehen und uns für ein paar entschieden und Pas de trois daraus gemacht und geschaut: Ist das interessant, ist das eine Lösung?

„Swan Fate“, Performance: Premiere 14. Dezember, 21 Uhr; dann 15.–17. 12., täglich 21 Uhr, Kampnagel, Hamburg;

Die Musik zum Stück wurde diesmal eigens vom US-Schwesternduo CocoRosie dafür geschrieben.

Ich habe gemerkt: Musik spielt bei „Schwanensee“ die tragende Rolle. Man kann es sich anhören und hat es komplett vor Augen, weil die Musik so eindringlich ist, manipulativ. Dieser Dauerwalzer ist ja so schön, dass man betäubt wird. Auch CocoRosies Musik ist sehr stark und beeindruckend, ganz ohne Tanz. Wir arbeiten mit Tschaikowsky und CocoRosie im Wechsel. Die Frage ist dann: Welche Rolle spielt der Körper noch, wenn die Musik so stark ist? Es geht also um die Liebe und Beziehungen und den Schmerz und damit auch um den Tanz im Körper, der immer auch mit Schmerz zu tun hat.

Endet „Schwanensee“ bei Ihnen auch so unglücklich wie in fast allen Versionen?

Das ist das bürgerlich Logischste, dass es dann im Tod endet. Bei uns geht es wie in Science Fiction in eine andere Richtung. Wir haben eine queere Person, die zeitgenössischen Pole Dance macht, an einer fünf Meter langen Stange. Da schraubt sich ein Körper, der weder Mann noch Frau ist, in eine utopische Richtung. Das ist ein wunderschöner Moment, der alle jedes Mal plattmacht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen