das portrait: Hamburg hat Emily Ruete erst ge- und dann entehrt
Selten hat es ein schöneres Beispiel dafür gegeben, wie man sich durch komplette Ignoranz blamiert, als die Geschichte vom Emily-Ruete-Platz im Finkenau-Quartier in Hamburg. Der neu entstandenen Freifläche am Südende der Leo-Leistikow-Allee diesen Namen zu verleihen hatte die zuständige Bezirksversammlung 2019 beschlossen. Im Januar 2020 wurden die Schilder eingeweiht. „Mit Emily Ruete haben wir eine starke und spannende Persönlichkeit als Namensgeberin des neuen Quartiersplatzes ausgewählt“, lobte eine grüne Kommunalpolitikerin. Allerdings hat dasselbe Gremium dann schon im Frühjahr 2021 beschlossen, den Namen durch den des Nazi-Opfers Teressa Scira zu ersetzen.
Es war aufgefallen, dass die 1844 als Salama bint Said in Sansibar geborene Frau Ruete anstößige Sachen geschrieben hatte. Nicht irgendwo in ihrer erst jetzt aufgetauchten Privatkorrespondenz, sondern in der wichtigsten Quelle für die These, dass die Gattin des Hamburger Kolonialkaufmanns Rudolf Heinrich Ruete – verbotene Liebe! – eine starke und spannende Persönlichkeit war: den 1884 erschienenen „Memoiren einer arabischen Prinzessin“.
Diese wohl erste Autobiografie einer Muslima ist ein Weltbest- und ein Longseller: Die jüngste deutsche Ausgabe erschien 2016. Man hätte da also reingucken können und wäre schnell fündig geworden: Entehrt werden soll die Geehrte wegen dem, was sie im einschlägig „Die Sklaverei“ benannten Kapitel vertritt. Mit dem hatte sie schon ihre Zeitgenoss*innen bewusst provoziert: „Ich weiß, dass ich mir durch meine Auffassung nicht viele Freunde machen werde“, leitet sie ihren Lobpreis dieser damals endlich auch in den USA verbotenen Institution ein.
Könnte man auch mit einer ambivalenten Namenspatronin leben? Ein am Dienstag vorgelegtes Gutachten wirbt dafür, übersieht aber, dass aufgrund der aktuellen Beschlusslage eine Nichtentehrung der arabischen Prinzessin mindestens eine Nichtehrung der Teressa Scira bedeuten würde. Die Tochter einer polnischen Zwangsarbeiterin starb kurz nach der Entbindung. Benno Schirrmeister
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen